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1810-1882: Der Lehrstuhl für Kameral- und Staatswissenschaften

Denkschriften zur Gründung der Universität

1808 übernahm Wilhelm von Humboldt die Sektion für Kultur und Unterricht im Ministerium des Inneren und damit die Aufgabe der Errichtung der Universität. Humboldt forderte ein „gemeinschaftliches Nachdenken“ über die Form und Vision der neuen Universität. So hatte Beyme einige Professoren aufgefordert, ihre Visionen zu der zu errichtenden Berliner Universität zu formulieren. Diese wurden in verschiedenen Denkschriften veröffentlicht. Neben den Schriften Fichtes, Schleiermachers und Humboldts sind vor allem die Denkschriften der beiden Staatswissenschaftler Schmalz und Hoffmann für die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften relevant (in Berthold 1960: 20, Waszek 1988).

Trotz wesentlicher Unterschiede sprachen sich alle Autoren für die Überwindung der im Zunftwesen erstarrten Universität aus und forderten die Freiheit der Forschung und Lehre gegenüber dem Staat (Schelsky 1971: 21). Die Visionen wendeten sich ab von der Universität als „Staat im Staate“, und damit auch von dem Modell der französischen Universitäten (Kraus 1999: 125). So forderte der Theologieprofessor Friedrich Schleiermacher in seiner (unaufgeforderten) Denkschrift von 1808 („Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinne. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende“) die völlige Unabhängigkeit vom Staat und spricht sich dafür aus Schutzwehren gegen die drohenden Eingriffe des Staates zu bauen (Kusenberg 1967: 96, Lenz 1910: 188). Die Autonomie und Freiheit der Universität sollte sich sowohl in der Einheit von Lehre und Forschung, als auch im humanistischen Bildungsideal ausdrücken. So forderte Humboldt 1809 in seiner Denkschrift die Schaffung einer Volluniversität, der „universitas litterarum“, an der in allen wissenschaftlichen Themenbereichen gelehrt und geforscht werden kann. Den Studenten soll die vielseitige Ausbildung aller ihrer Fähigkeiten möglich sein und die Ausrichtung auf eine Berufsausübung soll so spät wie möglich erfolgen. Betrachtet man die weitere Geschichte der Universität, so blieb dieser Anspruch auf Autonomie oft mehr Wunsch als Wirklichkeit. Dennoch war das Bildungsideal Humboldts mit mehreren politischen Systemen verträglich, und umfasste sowohl die Regime nach 1945 sowie nach 1989.

Die Idee der freien Forschung und Lehre war stark von den Werten geprägt, die allein die philosophische Fakultät vertreten konnte. Andere Fakultäten waren unmittelbar an einen Berufsstand gebunden. So hielt Schleiermacher in der Tat die philosophische Fakultät als die einzig wirklich wissenschaftliche, während die anderen nur „Spezialschulen“ wären, die ihre „Einheit nicht in der Erkenntnis unmittelbar, sondern in einem äußeren Geschäft“ hätten (Schleiermacher 1808: 75). Daher forderte er auch, dass Studenten sich in ihrem ersten Jahr nicht bei einer bestimmten Fakultät einschreiben, sondern sich der Philosophie, als Ort, an dem alle Fakultäten verwurzelt sind, widmen sollten. Da die Kameralwissenschaften diesem Ideal der wissenschaftlichen Autonomie nur wenig entsprechen konnte, war es auch nahezu unmöglich, dieser eine prominente Stelle einzuräumen – lehrte sie doch die Verwaltung des absolutistischen Staates, von dem einhellig Unabhängigkeit gefordert wurde. Und doch versuchten genau das die beiden Denkschriften von Hoffmann und vor allem Schmalz.

Denkschrift von Johann Gottfried Hoffmann

(Originaltext, aus Köpke 1860: 209 ff.)

Die „Cabinetsordre“ vom 4. Oktober 1810 ernannte Johann Gottfried Hoffmann zum Direktor des statistischen Büros und gleichzeitig zum Professor der Staatswirtschaft an der Berliner Universität unter Beibehaltung seiner Stellung in der Polizeisektion des Ministeriums des Inneren. Einige Monate zuvor hatte Hoffmann eine Denkschrift „Unmaßgebliches Gutachten, das Studium der sogenannten Staatswissenschaften auf der Universität zu Berlin betreffend“ verfasst, wo er sich intensiv mit den Staatswissenschaften befasst. Er schlug vor, die Staatswissenschaften in drei große Abteilungen einzuteilen: die publicistische, ökonomische und polizeiliche. (in Köpke 1860: 209) Hoffmann wünschte sich, „daß die Universität einen aufgeklärten Publicisten und einen gründlichen Statistiker erhalte“, da nur so ein Gleichgewicht zwischen den beiden wichtigen Aspekten der Staatswissenschaften gehalten werden könne. Es sollte der besondere Zweck der ökonomischen Abteilung sein, „die Quellen des National-Einkommens zu erkennen“ und zu erforschen, wie „das besondere Einkommen der Regierung am zweckmäßigsten entnommen, und am fruchtbarsten verwendet werden könne.“ (in Köpke 1860: 210) Damit hat Hoffmann das definiert, was später Nationalökonomie sowie Finanzwissenschaft werden sollte. Interessanterweise spricht sich Hoffmann dafür aus, dass die Kameralistik, also die reine Staatsverwaltung, nicht verpflichtender Teil der Staatswissenschaften sein sollte. „Der Jüngling, welcher sich zum gründlichen Kameralisten ausbilden will,“ schreibt Hoffman, „möge ein Jahr in dem nahen Thaerschen Institute verleben.“ (in Köpke 1860: 210) Dieses „Thaersche Institut“ meinte die landwirtschaftliche Akademie in Möglin von Albrecht Thaer, der auch als außerordentlicher Professor an der Universität unterrichtete (Braunreuther 1959: 12). Hoffmann spricht sich auch deutlich gegen einen Professor aus, der sich allein mit der Nationalökonomie beschäftigt: „Die Professoren der Ökonomie haben vielleicht auf Universitäten nur dadurch Nutzen gestiftet, dass sie aufmerksam auf eine wissenschaftliche Behandlung dieses Erwerbzweiges machten, und Literatur nachwiesen. Es scheint mir nicht räthlich, einen für Berlin anzustellen“ (in Köpke 1860: 210). Mit dieser kritischen Haltung spricht sich Hoffmann gegen seinen späteren Kollegen Theodor Schmalz aus. Ganz im Humboldtschen Bildungsideal schreibt Hoffmann, dass er sich weniger einen Systematiker als einen Kritiker als Professor wünsche, da „der ohnehin vorschnellen Jugend (...) jetzt wohl am meisten damit gedient (sei), dass man sie prüfen, zweifeln und des kommenden Tages harren lehrte.“ (Ibid.: 211)

Die Denkschriften von Theodor Schmalz

(Originaltext, aus Köpke 1860: 159 ff.)

Schmalz hatte vor seiner Professur in Berlin schon Erfahrungen als Rektor in Königsberg und Halle gesammelt, die er als erster Rektor der Universität an wichtigen Stellen der Universitätsgründung einbringen konnte. Doch gehörte er nie zum innersten Kreis der Gründer und Planer der neuen Lehranstalt (Kraus 1999: 150). Er zog im Oktober 1807 nach Berlin und begann seine Vorlesungen im Bereich der „Juristerei und Staatswissenschaften“ im selben Jahr. Als 1810 Carl von Savigny mit starker Unterstützung von Wilhelm von Humboldt an die juristische Fakultät berufen wurde, musste Schmalz hinter diesem zurücktreten. Dennoch wurde Schmalz in die von Humboldt geleitete Kommission zur Einrichtung der Universität berufen und entwarf während dieser Zeit viele organisatorische Elemente, die sich in den Statuten von 1816 wiederfinden.

Schmalz war bekennender Physiokrat und erntete dafür großes Unverständnis bei seinen Kollegen, besonders bei Hoffmann. „Als Physiokrat, dem das freie Spiel der Kräfte das alles bestimmende und regulierende Prinzip ist, hat er auch seinen Universitätsplan entworfen“, kommentierte der Historiker Lenz am Anfang des letzten Jahrhunderts (1910: 106). Seine Denkschrift war erfüllt von „Liberalität und Bereitschaft zur grundlegenden Erneuerung“ (Kraus 1999: 112). Besonders beachtenswert ist seine Forderung die strikte Einteilung in vier Fakultäten durch die Einführung von sieben „Classen“ aufzuheben, von denen eine den Staatswissenschaften zusammen mit der Jura zukommen sollte: „Zu den bisherigen 4 Classen der Academie (der Wissenschaften in Berlin), der philosophischen, physischen, mathematischen und philologisch-historischen, welche als allgemeine Classen bleiben, kommen noch eine theologische, eine staatswissenschaftliche (iuristische), eine medizinische als besondere Classe“(in Köpke 1860: 161). Classen sollten im Vergleich zu Fakultäten durchlässiger sein, so dass jeder Student aus allen Classen frei wählen kann: „Mag jeder lesen, was und wie er will, auch Vorlesungen eines andern Lehrstuhls, auch einer ganz anderen Classe, als in welcher er angestellt ist“ (Ibid.). Innerhalb der staatswissenschaftlichen Classe sprach sich Schmalz für einen Lehrstuhl für ökonomische Themengebiete in Form von „Staatswirthschaft, Finanzwissenschaft, Politik“ aus (Köpke 1860: 162). Im Geiste einer liberalen Kultur aller Disziplinen forderte also ein Staatswissenschaftler schon zu Beginn der Geschichte der Universität eine eigenständige Rolle für die damaligen Wirtschaftswissenschaften ein.

Die zweite Denkschrift von Theodor Schmalz ist undatiert, erschien wahrscheinlich im September 1808, als Schmalz schon die ersten noch inoffiziellen Vorlesungen hielt. Schmalz wich von seiner Forderung nach „Classen“ ab und forderte sechs Fakultäten. Dieser Rückzug geschah „nachdem er alle Brücken nach Halle hinter sich abgebrochen und mehrere an ihn ergangene Rufe nach auswärts abgelehnt hatte“ (Kraus 1999: 117). Kritiker bemängelten zusätzlich, dass die Zusammenlegung von der juristischen und staatswissenschaftlichen „Classe“ wegen der Menge an Inhalten nicht möglich sei. Auch wurden Schmalz persönliche Motive vorgehalten, da dieser sowohl Vorträge in Rechts-, und Staatswissenschaften hielt. Während Schmalz auch in der zweiten Schrift an dem Prinzip der Wahlfreiheit der Studierenden festhielt, spricht er nun von einem Lehrstuhl mit dem Titel „Politik und Staatswissenschaft, Natur-und Völkerrecht“, der von ihm selbst besetzt werden sollte (Ibid: 647).

Johann Gottfried Hoffman
Quelle: Universitätsbibliothek der
Humboldt-Universität zu Berlin
Theodor Schmalz
Quelle: Universitätsbibliothek der
Humboldt-Universität zu Berlin