Einleitung  1810-1882  1882-1933  1933-1945  1946-1989  Ab 1990  Professorenübersicht  Veranstaltungsdatenbank  Literatur


1989-2012: die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät heute

Lufthansaprofessoren

Mit dem Weggang vieler Professoren und Dozenten und sich verzögernder Neuberufungen gab es in den Jahren 1990-1992 großen Mangel an Lehrpersonal. Für die Sektion Wirtschaftswissenschaften begann der Austausch zwischen ost- und westdeutschen Professoren im Frühjahr 1990. Der Berliner Senat hatte mit seinen drei Universitäten solidarische Hilfe verabredet, sodass nicht ausgelastete Lehrbeauftragte und Professoren der FU und TU an der HU unterrichteten und dafür aus Senatsmitteln bezahlt wurden. So leistete der damalige Dekan der Wirtschaftswissenschaften an der FU Basler wichtige Hilfe an der Sektion. Ebenso Küttner, der nur eine geringe Lehrverpflichtung an der FU hatte. Zusätzlich kamen Professoren aus den alten Bundesländern für zwei Tage in der Woche an die Sektion. Diese Professoren wurden als „Lufthansa-Professoren“ bekannt.

Unter den Studierenden herrschte dennoch Unzufriedenheit bezüglich der Qualität der Lehre. Es „zeichnete sich die Erkenntnis ab, dass ein neues, auch von den Studenten eindringlich gefordertes Ausbildungssystem mit dem vorhandenen Lehrkörper aus der DDR objektiv nicht realisiert werden konnte“ (Kolloch 2001: 297). Da aber den Studenten die Weiterführung und ordnungsgemäße Beendigung ihres Studiums zugesichert wurde, konnte der Lehrbetrieb nur mit Gastvorlesungen aufrechterhalten werden (Kolloch 2001: 297). So schrieb die Berliner Morgenpost, dass im Wintersemester 1990/1991 insgesamt 144 auswärtige Gastdozenten an die HU kamen, die kurz- oder längerfristig blieben, um an den fünf abzuwickelnden Sektionen das Lehrangebot sicherstellen zu können (Berliner Morgenpost, 17.03.91). Fast 35 % dieser Dozenten waren Wirtschaftswissenschaftler.

Die Eindrücke, welche die Westprofessoren hinterlassen haben, unterscheiden sich beträchtlich. Während der FU-Politologe Ralf Rytlewski der Meinung war, dass die Humboldtianer unmotiviert waren, „ihre verkrusteten Strukturen aufzubrechen“ (Rytlewski; Berliner Morgenpost, 17.03.91), schrieb Sven Vollrath, damaliger Student an der HU, dass es eine Reihe von Professoren gab, die an die HU kamen, weil sie „mit dem verkrusteten bundesdeutschen Hochschulsystem unzufrieden waren“ (Vollrath 2008: 144f.). Diese Professoren wollten den Neuaufbau der ostdeutschen Hochschulen als eine Reform des gesamtdeutschen Hochschulwesens nutzen (Vollrath 2008: 144 f.). Die meisten Dozenten versprachen sich von der ehemaligen preußischen Reformuniversität neue Impulse für grundlegende Veränderungen im gesamtdeutschen Hochschulsystem.

Die Lehre aus dem Mittelbau genoss in der DDR einen höheren Stellenwert als im westdeutschen Hochschulsystem. Gegen Ende der achtziger Jahre kamen in der westdeutschen Wirtschaftswissenschaft auf einen Professor 47 Studierende. In der DDR betreute ein Professor im Jahr 1989 nur 15 Studierende (Schmerbach, Günther 2010: 404). Mit diesen Zahlen konnte die DDR die Regelstudienzeit garantieren, wohingegen die BRD mit hohen Abbrecherquoten und langen Studienzeiten zu kämpfen hatte. Die höhere Bedeutung, die der Lehre in der DDR erteilt wurde, ist auch daran zu erkennen, dass jeder Hochschullehrer einen Ausweis der Lehrbefähigung, die „Facultas Docendi“ benötigte.

Die erste provisorische Studienordnung sah vor, dass die Westprofessoren thematische Lehrveranstaltungsreihen hielten (Kolloch 2001: 297) während die ostdeutschen Lehrenden diese Veranstaltungen besuchten, um sich weiterzubilden. Auch die Deutsche Bank schaltete sich in den Lehrbetrieb ein und hielt Ringvorlesungen über die Bereiche „Banken und Finanzen“. Die Deutsche Bank nahm dabei Studierende in den Blick, die sobald als möglich als qualifizierte Mitarbeiter im Aufbau Ostdeutschlands mitwirken sollten. Als ehemalige Ausbildungsstätte für Finanzwirte der DDR spielte die Sektion an der HU eine wichtige Rolle. Des Weiteren sorgte die neue Studienordnung dafür, dass für die fortgeschrittenen Semester Intensivkurse zu marktwirtschaftlichen Theorien an den Wochenenden angeboten wurden.

Vom ostdeutschen Lehrpersonal wurde nun verlangt, sich neues Wissen autodidaktisch oder in entsprechenden Kursen in kürzester Zeit, oft von Woche zu Woche, anzueignen. Dies gelang nicht immer. Auf Fragen der Studierenden, so erinnerte sich Barthel, hörte man gelegentlich die Antwort: „Das erklären wir ihnen nächste Woche, wenn wir uns eingelesen haben“ (persönliches Gespräch). Besonders der große Unterschied hinsichtlich der Methoden der östlichen und westlichen Volkswirtschaftslehre zeigte sich deutlich. Daher betraf das Problem der mangelnden Qualifizierung eher die Volks- als die Betriebswirtschaftslehre.