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1882-1933: Das staatswissenschaftlich-statistische Seminar

Der Erste Weltkrieg

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 bedeutete einen Einschnitt für das staatswissenschaftliche Seminar, die Handelshochschule, wie für die ganze Universität. Der politische Geist war zunehmend nationaler. Beide Hochschulen sprachen sich offiziell für das imperialistische Deutschland aus und die große Mehrheit der Professoren unterstütze die sogenannte Kriegsziel-Denkschrift (Böhme 1975: 125 ff.), welche 1915 von Professor Seeberg verfasst wurde. Unter den Unterzeichnern findet man unter anderen die Nationalökonomen Hermann Schumacher und Adolph Wagner. Im Herbst 1914 entstanden, neben der schon bestehenden staatswissenschaftlichen Gesellschaft und der Mittwochsgesellschaft, die sogenannten Round-Tables und der Mittwochabend-Kreis. Diese bestanden aus politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und journalistischen Spitzenvertretern Berlins, welche mehrmals wöchentlich zu politischen Diskussionen trafen. Begriffe wie „nationale Einheit“, das „deutsche Wesen“ und das „Volkstum“ werden auch an der Universität gebräuchlich (Klopsch 2009: 46). Außerdem wird von Studenten und auch Lehrkörpern berichtet, welche das „Vaterlandslied“ oder auch „Dem Kaiser Heil!“ auf festlichen Veranstaltungen singen.

Mit Kriegsbeginn nahm zugleich die Anzahl der männlichen Studenten ab, welche durch das „Gesetz zum vaterländischen Hilfsdienst“ der Hochschule fern blieben. „Angehörige feindlicher Staaten“ waren von dem Studium nach Kriegsbeginn ausgeschlossen. Zunächst erscheint die Verminderung der Immatrikulationen auf Universitätsebene von 8024 auf 7824 nur sehr gering, jedoch galten 3445 Männer und 40 Frauen als „beurlaubt“. Diese Situation verschärfte sich in den folgenden Jahren, sodass es im Sommersemester 1915 nur noch 2603 tatsächliche Studierende gab. Ähnlich an der Handelshochschule: dort waren ungefähr 400 Studierende eingeschrieben, von denen ebenfalls nur die Hälfte anwesend war. Die prozentuale Verteilung von Männern und Frauen verschob universitätsweit sich von 10 Prozent zu Kriegsbeginn zu 50 Prozent zu Kriegsende. Damit konnten sich Frauen im universitären Alltag verankern. Viele engagierten sich im nationalen Frauendienst und übernahmen die Arbeit der abwesenden Männer innerhalb der Universität. Positiver Effekt war, dass Nach Ende des Krieges die Gleichberechtigung im Rahmen einer neuen Reichsverfassung als Grundrecht festgeschrieben wurde.

Im Gegensatz zu den Studierenden hatte der Kriegsausbruch auf den Großteil der Professoren, Honorarprofessoren und Extraordinarien die wegen ihres Alters weder front- noch heimatdienstfähig waren, weniger Auswirkungen. Insgesamt zogen nur fünf Prozent der Professorenschaft der gesamten Universität in den Krieg. Für die meist jüngeren Privatdozenten und Lehrbeauftragten galt dies jedoch nicht und somit waren von 264 Privatdozenten 100, von 90 außerordentlichen Professoren zehn und von 31 ordentlichen Honorarprofessoren fünf kriegsbedingt abwesend. Trotzdem wurde der Unterrichtsbetrieb aufrechterhalten und die Stellen der Dozenten der Handelshochschule wurden sogar ausgeweitet, wenn auch hier sich die Hälfte im Kriegsdienst befand. Die Situation während des Krieges an der Handelshochschule beschreibt der Rektor Friedrich Leitner in seinem Bericht für die Jahre 1918 bis 1920 wie folgt: „fortschreitende innere Entwicklung der Hochschule inmitten des Zusammenbruchs unseres Vaterlandes“ (Leitner 1921: 5).

Mit den hohen Kriegsausgaben folgten auch finanzielle Schwierigkeiten der beiden Hochschulen. Auf dem Deckblatt des Vorlesungsverzeichnisses für das Wintersemester 1917/1918 konnte man folgende Vorbemerkung lesen: „Da sich im Laufe des Wintersemesters Schwierigkeiten der Kohlenversorgung kaum umgehen lassen, kann für die genaue Einhaltung der Studienzeiten keine Gewähr geleistet werden. Voraussichtlich wird ein Teil der Stunden die nach 6 Uhr angezeigt sind, auf eine frühere Zeit verlegt werden.“ Auch die verbliebenen Professoren spürten die schwierige finanzielle Lage deutlich. Ihnen wurde ihr festes Grundgehalt entweder ganz gestrichen oder auf ein gesetzliches Mindestmaß reduziert (von einem Ausgangsgehalt von 7650 Mark auf 1200 Mark, Klopsch 2009: 85). Selbst die Handelshochschule litt unter Finanzierungsschwierigkeiten, da die wichtigen Einnahmen aus der Börsenverwaltung rückläufig waren.

Zu Kriegsende kam es in den ersten Novemberwochen des Jahres 1918 zu schweren Unruhen an der Universität. Nachdem am 9. November 1918 ungeklärte Schießereien das Universitätsgebäude beschädigten, wurde am 11. November ein Studentenrat gegründet, welcher sich zur weisungsbefugten Universitätsbehörde ernannte, den Rektor Seeberg und weitere Professoren absetzte, und die Universität für geschlossen erklärte. Albert Einstein wurde beauftragt sich für die Freilassung der festgehaltenen Professoren einzusetzen. Zugleich protestierten Medizinstudenten gegen den Studentenrat und wählten einen eigenen Ausschuss. Mit der Unterstützung des Berliner Arbeiter- und Soldatenrat übernahmen sie die Kontrolle über die Universität und nahmen den Universitätsbetrieb am 19. November 1918 wieder auf. Am 23. November 1918 folgte die studentische Vollversammlung. Es standen 4 Listen zur Wahl des Studentenausschusses: die Sozialistische Studentenpartei Berlin, die deutsch-nationale Großpartei, die (liberaldemokratische) Hochschulpartei und zuletzt die Einigungsgruppe (jüdischer Studenten). Die Wahlen zu Beginn des Dezembers brachten den Sieg der Hochschulpartei (5 von 9 Sitzen). Die Studenten standen zu Beginn der Weimarer Republik also nicht feindselig gegenüber.

Auch die Professoren und Dozenten mussten auf die Veränderungen zu Kriegsende reagieren. Am 17. November kam es zu einer Versammlung des gesamten Lehrkörpers. Als Ergebnis wurde am 20. November eine Resolution von Walther Rathenau und Ernst Troeltsch in der Vossischen Zeitung veröffentlicht (Originaltext). Diese besagt, dass sich die Professoren bereitwillig der provisorischen neuen Regierung unterstellen und eine demokratische Nationalversammlung erwarten. Ebenso wollen sie ihre ganze Arbeitskraft in den Dienst der zurückkehrenden Studenten und der neuen sich darbietenden Aufgabe der Volksbindung stellen. Die Professoren erwarteten im neuen Staat vor allem Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft. Hugo Preuß legte zu dieser Zeit sein neues Amt als Rektor der Handelshochschule 1918 nieder, da er zum Staatssekretär berufen wurde, als der er federführend an der Ausarbeitung der Weimarer Reichsverfassung beteiligt war.

Im Gegensatz dazu folgte am 15. Januar 1919 ein Aufruf der deutschen Hochschullehrer, die zur Unterstützung der Deutschnationalen Volkspartei, der DNVP, aufriefen. Sie machten die Sozialdemokratie für die zahlreichen Probleme verantwortlich und erteilten der Demokratie eine Absage.

„Wir wollen Freiheit und Ordnung für das ganze Volk. Wir wollen einen deutschen Volksstaat. Der kann nur auf Grund alles dessen erbaut werden, was sich in Deutschlands Vergangenheit bewährt hat.“ (aus der Deutschen Tageszeitung vom 15. Januar 1919).

Hier unterzeichnete der Rektor Reinhold Seeberg und der Nationalökonom Max Sering, jedoch kaum weitere Vertreter des Seminars. Dieser Rechtsruck unter den Professoren wurde durch die Bekanntmachung der Versailler Friedensbedingungen im Mai 1919 verstärkt.

Quelle: Berliner Zeitung vom 03. Oktober 2010