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1810-1882: Der Lehrstuhl für Kameral- und Staatswissenschaften

Übersicht

Die Berliner Universität wurde 1810 auf dem Hintergrund der Folgen der Napoleonischen Kriege unter einer Vielzahl von Bildungsvisionen gegründet. Trotz unterschiedlicher Auffassungen, hatte man sich für die übliche Aufteilung in 4 Fakultäten entschieden: die philosophische, medizinische, theologische und juristische Fakultät. Lehrstühle für Kameralwissenschaften gab es schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts an anderen preußischen Universitäten wie in Halle und Frankfurt/Oder. So wurde auch in Berlin den Kameralwissenschaften ein Lehrstuhl an der philosophischen Fakultät zugewiesen (ab 1823 in Kameral- und Staatswissenschaften umbenannt). Mit Theodor Schmalz, erster Rektor der Universität, und Johann Hoffmann, erster Lehrstuhlinhaber und späterer Rektor der Universität, nahmen zwei Staatswissenschaftler starken Einfluss auf die Entstehung und Entwicklung der Universität, wie es in ihren Denkschriften zum Ausdruck kommt. Der Lehrstuhl wurde in den ersten Jahrzehnten in Personalunion mit dem Direktor des schon 1805 gegründeten Königlich Preußischen Statistischen Bureaus betrieben, welches wesentlich für die wachsende Bedeutung der Staatswissenschaften an der Universität war.

Dennoch war die Stellung der Staatswissenschaften an der Universität schwierig. Die Philosophische Fakultät war die einzige Fakultät, die nicht auf eine spezielle Berufsvorbereitung abzielte und deswegen den höchsten Autonomiegrad besaß. Sie richtete sich im Sinne des vorherrschenden deutschen Idealismus „wissenschaftlich“ aus, und umfasste neben der Philosophie auch die Naturwissenschaften, die Mathematik, die Geschichte, und die Philologie. Da jedoch die Staatswissenschaften vor allem der Ausbildung von angehenden Beamten aus der juristischen Fakultät diente, für die die Staatswissenschaften kein verpflichtender Teil ihres Studiums war, gab es zu Beginn sehr wenig Interesse unter den Studierenden. Einen Abschluss in Staatswissenschaften gab es bis spät ins 19. Jahrhundert nicht. Hinsichtlich der Studien- und Lehrinhalte kann man noch nicht von einer tatsächlichen Disziplin der Wirtschaftswissenschaft sprechen. An diesem schwachen Stand änderten auch die weiteren Entwicklungen im 19. Jahrhundert wie die Novemberrevolution 1848 nur wenig. Wirtschaftwissenschaft war Hilfswissenschaft in einer Ausbildung von Staatsbeamten ohne Autonomie beanspruchen zu können. Eine Veränderung dieser Lage bahnte sich erst im Anschluss an die Staatsgründung 1871 an, nachdem die Staatswissenschaften ein tragendes politisches Element werden sollten.

Das Wesen und die Tätigkeiten der Staats- und Kameralwissenschaften waren daher sehr von Personen und deren Engagement getragen. Der erste Ordinarius für Staatswissenschaften war mit Johann Gottfried Hoffmann sehr prominent. Neben seiner Tätigkeit als Direktor im Statistischen Büro war er auch als Staatsbeamter unter Hardenberg stark gefordert. Ein Gegenpol zu Hoffmann bildete seit Beginn Theodor Schmalz, der sich für die Lehren der französischen Schule der Physiokratie stark machte. Als Nachfolger von Hoffmann wurde 1834 Karl Dieterici zum Ordinarius für Statistik und Staatswissenschaften berufen, welcher auch sein Amt am statistischen Bureau übernahm. 1819 wurde der Lehrstuhl unter Hoffmanns Abwesenheit von einem Historiker besetzt, der für seine Kritik an Ranke bekannt war, der Ordinarius für Geschichte und Staatswissenschaften Friedrich von Raumer (später auch von dem Historiker Heinrich Helwing). Dieterici wurde 1860 wiederum von einem namhaften Agrarhistoriker Georg Hanssen ersetzt, der gemäß den Vorstellungen seines Lehrers Heinrich Raus unterrichtete und einen Kaderwechsel anbahnte. Der Hegelianer Leopold von Henning lehrte zwischen 1835 und 1866 ebenfalls zu den Staatswissenschaften aus philosophischer Perspektive.