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1945-1989: Die wirtschaftswissenschaftliche Sektion zur Zeit der DDR

Wirtschaftsgeschichte und Statistik in der DDR

Wenn auch die Wirtschaftsgeschichte in der DDR genauso wie im Westen eine relativ kleine Fachrichtung war, besaß die DDR im Unterschied zur BRD schon früh ein eigenes und selbständig arbeitendes wirtschaftshistorisches Forschungsinstitut an der Akademie der Wissenschaften. Es war in den ersten Jahrzehnten von Jürgen Kuczynski und Günther Kohlmey sowie deren Schülern bestimmt (darunter Wolfgang Jonas, Hans Radandt, Lotte Zumpe, Dieter Baudis, Bertholt Puchert und Manfred Nussbaum). Wichtiges Ereignis war das jährliche „wirtschaftshistorische Streitgespräch“ (Fischer und Zschaler 1998: 383-393). Im Jahre 1978 wurde das Nationalkomitee der Wissenschaftshistoriker der DDR gegründet. Durch das Komitee erfolgte auch die Vertretung der Wirtschaftsgeschichte in den internationalen wissenschaftlichen Organisationen. (BBAW-Archiv, IWG, A 1855.)

Wirtschaftsgeschichte in der DDR unterschied sich von den Geschichtswissenschaften durch ihren Bezug auf den historischen Materialismus. Wirtschaftsgeschichte war daher vor allem qualitativ, und unterschied sich deutlich von der westlichen Wirtschaftsgeschichte, die zunehmend vom cliometrischen Empirismus bestimmt war. Nichtsdestotrotz konnte die Wirtschaftsgeschichte als empirische Disziplin auch eine gewisse Distanz zum Marxismus waren, zum Beispiel in der Betriebsgeschichte. In den 50er Jahren wurde Betriebsgeschichte nach dem sowjetischen Vorbild als Teil der Propaganda betrieblicher und regionaler Parteileitungen betrieben. Nach Versuchen von Wirtschaftshistorikern der Akademie sowie der Universität, das Fach ergebnisorientierter und professioneller zu gestalten, versuchten die Befürworter der marxistischen Ansätze sich in ihrer Führungspostionen zu behaupten, konnten sich aber nicht vollständig durchsetzen. Neue Themen wurden untersucht, wie zum Beispiel die bürgerliche Unternehmertradition, und das Unternehmen als Träger des technischen Fortschritts (Fischer und Zschaler 1998: 386, Thomas Kuczynski 1991).

Wissenschaftliche Kontakte mit dem westlichen Ausland waren bis zu den 70er Jahren nur zwei Wirtschaftshistorikern und Akademiemitgliedern vorbehalten: Jürgen Kuczynski und Hans Mottek. Letzterer nutzte seine Möglichkeiten allerdings kaum aus. Eine der wenigen Kontakte pflegte das Akademie-Institut zu dem wirtschaftshistorischen Departement der Universität Liverpool. Außerdem gab es Verbindungen zu renommierten japanischen Hochschulen und Universitäten, zum Beispiel in Städten Tokyo und Kyoto. Bei diesem Austausch ging es vor allem um die Industrialisierungsgeschichte und die deutsche Wirtschaftsgeschichte. Der Problemrat der Wirtschaftsgeschichte, der 1988 von der Akademie der Wissenschaften den Stand der Forschung der Wirtschaftsgeschichte einschätzen sollte, kam zu dem Ergebnis, dass diese auf dem Niveau der 50 und 60er Jahre stehen geblieben ist (Kriterien waren Ergebnisse und Probleme der Forschung, praktische Wirksamkeit der Forschung, interdisziplinäre Zusammenarbeit, Ergebnisse und Probleme der internationalen Forschungskooperation, Probleme der Forschungsplanung und der Wissenschaftsorganisation, siehe Fischer und Zschaler 1998: 386).

Auch die Rolle der Methodenausbildung, besonders der Statistik, die sich über alle Regime hinweg Bestand hatte, soll besonders hervorgehoben werden. Statistik war zum einen ein wichtiges Instrument der Selbstdarstellung der Regierung, jedoch zugleich begrenzt durch Offenlegungs- und Abgrenzungsängste.

Der Leiter der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik sprachen sich öffentlich gegen die Anwendung der Ökonometrie aus: „Wir lehnen prinzipiell eine Mathematisierung der Statistik im Sinne der „Amerikanischen Schule“, der bürgerlichen Ökonometrie usw. ab“. (Donda 1961: 204) Eine Weise der Abgrenzung von bürgerlichen Methoden war das Streichen von „bürgerlichen Indexzahlen“ aus den Lehrbüchern. Erst später wurde es allgemein anerkannt, dass das Verdrängen der Mathematik aus der Statistik zu weit ging. „Die Versuche einiger Wissenschaftler, Ökonometrie zu betreiben, wurden durch die Sorge der Politik behindert bzw. verhindert, dass womöglich die bestehenden Schwächen der damaligen DDR-Wirtschaft aufgedeckt werden. Die westdeutschen Wissenschaftler konnten sich das nicht vorstellen.“ (persönliches Gespräch)

Für die Lehre wurde über 30 Jahre hinweg ein amtliches Lehrbuch verwendet. (In den Jahren 1956-1963 waren es die „Grundlagen der Statistik für Wirtschaftler“ von Herde und Kuhn, in Jahren 1964-1971 war der Titel „Allgemeine Statistik“ von Donda, Herde, Kuhn und Struck und von 1972 bis 1989 hieß es „Statistik“ von denselben Autoren.) In der ersten Ausgabe dieses Lehrbuches wurde noch auf den Statistiker Stalin verwiesen. Schmerbach berichtete, dass die Statistikvorlesungen der Sektion sich nicht immer an diesem Lehrbuch orientierten. Darüberhinaus schrieb einer der Autoren, Bruno Leuschner, zugleich Vorsitzender der Arbeitsgruppe Statistik des Beirats für Wirtschaftswissenschaften beim Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen und Inhaber des Lehrstuhl für Statistik an der Hochschule für die Ökonomie, einen Brief an das Ministerium, in dem er sich über die Lehre an der Sektion beklagte. Diese hielte sich nicht an die von der Partei vorgeschrieben Ordnung. Der Stand der Wissenschaft sei nicht aktuell und die Ausbildung hinge 20 Jahre zurück (Strohe 1996: 29). Diese Beschwerde hatte jedoch keine Konsequenz.

Die methodisch verankerten Fächer (Kybernetik, Mathematik, Wirtschaftsinformatik und Statistik) besaßen anhand ihres Wesens eine gewisse Selbständigkeit, und damit auch das Potential eines „die politische Blockbildung überspringenden Ideentransfers“ (Hesse und Rischbieter 2010: 258). Diese Fächer waren zugleich wichtige Instrumente der Evaluierung der Wirtschaftspolitik. Doch wichen viele Daten, mit denen im Institut für Statistik gearbeitet wurde, laut Schmerbach, erheblich von der Realität ab. (Speigner, 1982: 1486). Es wurde versucht, trotz sehr begrenzter Technik und Daten, Modelle der Produktivität zu entwickeln. Entweder waren die Daten nicht real oder sie waren streng geheim, und die Forschungsergebnisse durften nicht veröffentlicht werden.

Behilflich war den Berliner Statistikern der Direktor des Instituts für Statistik, Professor Carl Otto, ein sehr vernetzter Wissenschaftler, der aufgrund seiner Position an der Universität einige Konventionen, wie zum Beispiel die Parteizugehörigkeit, lange ignorieren konnte und ein offenes Klima schuf. Otto setzte sich in den Sitzungen des wirtschaftswissenschaftlichen Rates für die Stärkung der Mathematik ein. Es war auch Otto, der die lineare Programmierung für die Organisation von Produktionsprozessen antrieb, wie sie schon in der Sowjetunion und auch im Westen wesentlicher Teil der mathematischen Wirtschaftswissenschaft waren (Düppe 2014). Otto leitete seit 1962 eine Arbeitsgruppe „Mathematik und Ökonomie“, die sich mit Kybernetik und mathematischer Wirtschaftstheorie beschäftigte – also nicht später als diese Methoden in Westdeutschland Fuß fassten (Hesse und Rischbieter 2010: 271).

Es gab in den 70er Jahren durch Günter Mittag und dem Präsident der staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, Professor Arno Donda, einen Versuch, die Statistik in Richtung des statistischen Rechnungswesens zu lenken. Dadurch konnte die politisch gesehen ungewollte und riskante Selbständigkeit der Statistik eingeschränkt werden, denn „mit Modellen aller Art hätte man die Schwächen des Systems aufdecken können“ (Schmerbach, persönliches Gespräch). Als Maßnahme dieser Initiative wurde ein neues, von Professoren der Hochschule in Karlshorst (unter anderem Donda) und der Universität Leipzig geschriebenes Lehrbuch eingeführt. Das Statistikinstitut stellte sich dem entgegen, und verwendete ohne Konsequenzen das Buch nicht.

Jürgen Kuczynski
Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-14097-0002