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1945-1989: Die wirtschaftswissenschaftliche Sektion zur Zeit der DDR

III. Hochschulreform 1968

Bis in den frühen 60er-Jahren gab es viele Brüche in dem Universitätssystem der DDR und die Wissenschaft etablierte sich nur langsam und nicht in allen Bereichen. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 und im Rahmen des "Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft" bahnte sich eine weitere Reform des Bildungswesens an: die III Hochschulreform, beschlossen auf dem VI. Parteitag der SED 1963. Mit der Verkündigung des „Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ vom 25.02.1965 begann die Umsetzungsphase. Diese Reform kam einem Bruch mit der traditionellen Universität gleich insofern sie sich auf die Organisation der Disziplinen, sowie der Trennung von Forschung und Lehre auswirkte.

Das Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen veröffentlichte 1966 die "Prinzipien zur weiteren Entwicklung der Lehre und Forschung an den Hochschulen der DDR", die bei der IV. Hochschulkonferenz im Februar 1967 in vier Bereiche zusammengefasst wurden: Das Studium sollte in die Abschnitte Grundlagenstudium, Fachstudium, Spezialstudium, Forschungsstudium gegliedert werden; die Forschung sollte auf der Grundlage der „Perspektivpläne“ der naturwissenschaftlichen, technischen, landwirtschaftlichen, medizinischen und gesellschaftswissenschaftlichen Forschung gestaltet werden; es sollte bis 1980 eine neue Profilierung der Wissenschaft stattfinden; es sollten neue Leitungsstrukturen geschaffen werde, die interdisziplinäre Beziehungen zwischen den Wissenschaften durch die Beseitigung der Institutsstruktur erleichtert, und die Organisationsform der „Fakultät“ ganz beseitigt werden.

Vor allem der vierte Bereich kam einer radikalen Abkehr von der traditionellen Universität gleich. Wissenschaftliche Teilgebiete wurden nicht mehr in Fakultäten, sondern in Sektionen zusammengefasst. Der Kern der Sektionen bestand aus einer sogenannten „komplexen Wissenschaftseinheit“. Sektionen waren in Abteilungen, Kollektive oder Wissenschaftsbereiche geteilt. So wurde aus der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät die „Sektion Wirtschaftswissenschaft“ als Teilbereich der Gesellschaftswissenschaften.

Darüberhinaus kam es zu einer Trennung von Forschung und Lehre. Es wurde beschlossen, dass sich die Institute der Akademie der Wissenschaften auf die Forschung, und die Universitäten auf die Lehre konzentrieren sollten. Diese Trennung kam einem radikalen Bruch vor allem mit der Humboldtschen Idee der Universität gleich, wurde aber nie vollständig durchgeführt. Zu beachten ist, dass man im Westen ähnliche Tendenzen beobachten kann, wo sich eine Reihe staatlicher und privater Forschungsinstitute, sogenannte Think Tanks, als Eliteinstitutionen fächerübergreifender Forschungen etablieren konnten, und andererseits die Rolle der Liberal Arts Colleges ebenfalls wuchs.

Das sich nach der III Hochschulreform etablierte System hat sich bis zum Ende der DDR durchgehalten. Die Reform führte zu einer Integration aller gesellschaftswissenschaftlichen Fächer an der Sektion. Die Entwicklung von qualitativen und historischen Methoden in den Wirtschaftswissenschaften half der Zusammenarbeit mit den anderen Gesellschaftswissenschaften. Durch die im Vergleich zu heute niedrigen methodischen Anforderungen war es einfacher, politische Inhalte in die Lehre einzublenden und zu kontrollieren. Die disziplinäre Integration hatte aber auch andere Konsequenzen. So entstand eine Gruppe zur Sozialismustheorie, die sich mit der Möglichkeit des demokratischeren Sozialismus beschäftigte. Mitglieder der Fakultät waren R. Land, H. Petsch, U. Busch und andere. Die Wissenschaftler wurden zunächst als Dissidenten verdächtigt, woraufhin die Gruppe vom Prorektor der Gesellschaftswissenschaften Dieter Klein als Ministerforschungsprojekt legitimiert wurde. Ein weiteres Ergebnis der Zusammenarbeit mit den qualitativen Gesellschaftswissenschaften war die Friedensforschung. Es wurden Ringvorlesungen angeboten, die von Studenten aller gesellschaftswissenschaftlicher Fächer besucht werden konnten.

Im Zuge der Reform wurde 1968 der gesamte Bereich der Finanzwissenschaften von der Hochschule für Ökonomie auf die Sektion umgelegt, und bildete dort die neue Ausrichtung der Fakultät. Damit kamen die Professoren Karlheinz Tannert, Heinrich Bader, Erhard Knauthe und Günter Radtke an die Sektion der Universität. Dieser Wechsel der Lehrkräfte verstärkte die Integration der beiden Hochschulen. Das Institut für Statistik veranstaltete regelmäßige Kolloquien in Zusammenarbeit mit der Hochschule unter Leitung von Professor Donda. Hans Schmidt von der Sektion forschte zusammen mit Peter Siegmund von der Hochschule für Ökonomie zur Geldtheorie. Zeitgleich zur Reform wurden Horst Oertel, Hans Wagner, Gerd Gebhardt, Heinz Körth, Georg Wintgen, Alexander Schink und Siegfried Apelt zu ordentlichen Professoren berufen, womit die Reform einem Generationenwechsel an der Sektion gleich kam. Trotz der Spezialisierung enthielt die Sektion auch nach der Reform noch 14 Wissenschaftsbereiche und war damit breiter aufgestellt als die meisten Wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereiche heute (siehe Organigramm ). Von den Finanzwissenschaften forderte das Finanzministerium eine Ausbildung, die den späteren Berufen der Studenten gerecht werden sollte. Diese Studenten besetzten nach ihrem Studium wichtige Posten in der Verwaltung des Staatshaushaltes, in Versicherungen, Banken und Kombinaten. Als Folge dieser Praxisnähe waren die Berliner Finanzwissenschaftler nahe an den wirtschaftlichen Problemen ihrer Gegenwart.

Wenn es auch im Bildungssystem der DDR eine ausgeprägte Diskussionskultur gab (wie an dem Bericht des Zeitzeugen Rambaums deutlich wird), wurde mit der III Hochschulreform die Distanz zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit grösser. In der Tat hatte sich in der DDR nie ein öffentliches Publikum für wissenschaftliche Forschung, oder gar eine öffentliche Wertediskussion zur Wissenschaft, etablieren können. Jürgen Kuczynski kann hier als Ausnahme gelten (Kocka, 1998: S.448-449). Das Mistrauen, das man der Wissenschaft entgegengebracht hat, äußerte sich auch darin, dass seit 1968 bis 1989 alle Vorlesungsverzeichnisse der Humboldt-Universität fehlen.

Heilig-Geist-Kapelle und die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, 1982
Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1982-0409-011