Einleitung  1810-1882  1882-1933  1933-1945  1946-1989  Ab 1990  Professorenübersicht  Veranstaltungsdatenbank  Literatur


1945-1989: Die wirtschaftswissenschaftliche Sektion zur Zeit der DDR

II. Hochschulreform 1951

Am 7. Oktober 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet, und die sowjetische Militäradministration abgelöst. Während die erste BRD-Regierung auf wirtschaftliche Modernisierung setzte, welche die Eigentumsverhältnisse und Gesellschaftsstruktur intakt ließ, fand in der DDR eine gesellschaftliche Umgestaltung statt. An die Stelle der nationalsozialistischen Mobilisierung trat die Mobilisierung zum Aufbau des Sozialismus. Hierzu gehörte auch eine Neukonzeption der Idee der Universität als Volksuniversität. In Abgrenzung von der alten Gelehrten-Universität, die relativ losgelöst von der Gesellschaft ihre eigenen Ziele in der Forschung verfolgte, begründete die II. Hochschulreform eine „Universität neuen Typus“.

Auf dem III. Parteitag der SED im Jahr 1951 wurde diese II. Hochschulreform beschlossen (ausführlich hierzu Vogt 2010). Diese enthielt die Einrichtung eines Staatsekretärs für Hochschulpolitik, sowie verbindliche Änderungen für alle Studiengänge (Schäfer 1995). Die Ideale der Volksuniversität waren verbindlich festgelegt: sie war geprägt vom Kampf gegen die faschistische Ideologie, der Integration der Arbeiter, Bauer, und Frauen in die höhere Bildung, die Nähe zur wirtschaftlichen Entwicklung, also die Ausbildung von Fachkräften für den Aufbau der Planwirtschaft, die allgemeine Gültigkeit des Marxismus in der Wissenschaft und die Orientierung an der Sowjetunion inklusive obligatorischem Russisch- und Sportunterricht (Zschaler 1997, Krüger 1960, Hesse und Rischbieter 2010).

Für alle Studenten aller Universitäten wurde das „gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium“ im ersten Studienjahr eingeführt. Es enthielt die Fächer Marxismus-Leninismus, Politische Ökonomie, sowie dialektischer und historischer Materialismus. Die Wirtschaftswissenschaften, vor allem die politische Ökonomie, wurden in diesem Sinne zur „ersten Wissenschaft“.

Eine Aufgabe der Universität war, mit dem bürgerlichen Bildungsprivileg zu brechen. Viele Frauen, Arbeiter- und Bauernkinder erhielten durch Stipendien Zugang zum Studium. Weitere Maßnahme war auch, dass Studenten der Wirtschaftswissenschaft sowie anderer Fächer einen großen Teil ihres Studiums im Arbeitseinsatz verbringen mussten, um die Nähe zur Arbeiterklasse zu erhalten. Es war hierbei nicht immer einfach, die Ideale des Marxismus, wie man sie im theoretischen Studium diskutierte, mit den lokalen Erfahrungen der Planwirtschaft zu vereinen. Der Zeitzeuge Rambaum, Student an der Fakultät Ende der 50er Jahre, hat von diesen Erfahrungen einen anschaulichen Bericht verfasst (Text).

Wesentliche Änderungen ergaben sich auch durch die Gestaltung der neuen Studienordnung. Während im Westen in den 50er Jahren eine Desintegration der Wirtschaftswissenschaften von anderen Sozialwissenschaften stattfand, förderte die Regierung die Integration der Wirtschaftswissenschaften als das führende Fach der Gesellschaftswissenschaften. Mit der neuen Studienordnung der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät wurden die Studiengänge Betriebs- und Volkswirtschaftslehre zum Wirtschafts-Diplom verbunden (Zschaler 1997: 69). Die westliche Betriebswirtschaftslehre sowie die Soziologie (Wollmann 2010) wurden als bürgerliche Wissenschaften gegenüber praktischer Wirtschaftskunde (bspw. Technologie und Warenkunde), Marxistischer Theorie, Wirtschaftspädagogik, und auch der Wirtschaftsgeographie marginalisiert. Alle betriebswirtschaftlichen Lehrstühle wurden als „Institut für Industrieökonomie“ zusammengefasst (seit 1953 unter Leitung von Hans Arnold). Es entstanden planwirtschaftliche Steuer- und Statistikseminare, aus dem Fach Rechnungswesen wurde das Fach „volkseigenes Rechnungswesen“, und aus der Buchhaltung „volkseigene Buchhaltung“. Nach ihrem Studium gingen die meisten Absolventen in die volkseigenen Betriebe und deren lokalen Verwaltung. In den späten 50er und 60er Jahren wurde für einige Semester beschlossen, dass alle Absolventen der Fakultät als Lehrer in Schulen tätig werden sollten. Berufswahl war für die Abgänger also nur bedingt gegeben (persönliches Gespräch).

Die II Hochschulreform hatte auch personale Konsequenzen an der Fakultät. Mit Joseph Winternitz wurde 1949 das Institut für Politische Ökonomie gegründet. Mit Winternitz wurde ein wichtiger marxistischer Professor berufen, der 1950 auch zum Dekan gewählt wurde, aktiv die personelle Umgestaltung und neue Studienordnung vorantrieb, aber 1951 aus Krankheitsgründen seiner Frau nach London übersiedeln musste. Winternitz setzte sich für die Berufungen der ersten Professorinnen an der Fakultät ein, Henriette Walther (Technologie und Ernährungslehre) und Elisabeth Todt (Wirtschaftsgeschichte).

Die wohl entscheidendste Berufung hinsichtlich des ideologischen Profils der Fakultät war Robert Naumann, der 1951 Winternitzs Institut für Politische Ökonomie übernahm. Es war Naumann, welcher im Laufe der Jahre aufgrund seiner dogmatischen Strenge der Fakultät zu dem Ruf der „Roten Fakultät“ verhalf. Naumann schrieb 1953 auch den pro-Stalinistischen Eröffnungsaufsatzes „Stalin als Ökonom“ der wohl wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschrift der DDR, Wirtschaftswissenschaft (Naumann 1953). Er trat auch für die weite Verbreitung des von Stalin initiierten und 1955 erschienenen Lehrbuch der politischen Ökonomie ein (Autorekollektiv, 1955, Schneider 1997: 230). Naumann ist ebenfalls verantwortlich für die Verbannung der Soziologie als bürgerlicher Teildisziplin der Gesellschaftswissenschaften (Wollmann 2010). Er wurde erst 1959 an der Humboldt-Universität promoviert.

Der 26-jaehrige Otto Reinhold, als SED-Student bekannt und aktiv, wurde 1951 auf den Lehrstuhl für politische Ökonomie des Kapitalismus berufen, welches Teil Naumanns Institut war. Johann-Lorenz Schmidt übernahm 1953 an Naumanns Institut eine Professur zur Geschichte des Imperialismus, und Heinz Mohrmann übernahm 1956 Reinholds Lehrstuhl. Naumanns Institut wurde damit zum Machtzentrum der Fakultät, und bildete einen gewissen Gegenpol zu dem etwas freizügigeren Intellektualismus, der in den Vorlesungen von Jürgen Kuczynski herrschte, ein Gegensatz, der ebenfalls von dem Zeitzeugen Raumbaum anschaulich in einem Bericht beschrieben wird (Originaltext).

1951 befand sich die Fakultät in einem ganz anderen Zustand, als es die Gründer 1946 vermuten konnten. Die erste Generation der ehemaligen Professoren musste erkennen, dass in der neuen Gesellschaft der Bedarf an wirtschaftlicher Forschung und Lehre stark verändert war. Viele Professoren verließen die Fakultät, als sie merkten, dass Kritik an der neuen ideologischen Ausrichtung wirkungslos blieb. Um an der Humboldt-Universität lehren zu dürfen wurden die Professoren gezwungen, mögliche zusätzliche Stellen in den britischen, französischen oder amerikanischen Sektoren aufzugeben. Auch die sozialdemokratischen Professoren bemerkten, dass ihr Einfluss unter der SED-Führung gering blieb und gingen noch Ende der 50er Jahre in den Westen: Ernst Schellenberg, Friedrich Lenz und selbst der Dekan der Fakultät, Bruno Gleitze, verließen mit Protest die Fakultät.

Die verbliebenen Professoren der Wirtschaftshochschule (unter anderen Rogowsky, Schneider und Mellerowicz), protestierten auf der 68. Fakultätssitzung gegen die neue Studienordnung. Dieser gefährde die Vergleichbarkeit mit westdeutschen Abschlüssen und stelle eine „einseitige politische Indoktrination“ dar (nach Zschaler 1997, HU Archiv WIWI-Rektorat Nr.325, 255-260). Mellerowicz sagte an dieser Sitzung: „Wenn diese Entwürfe innerhalb der Berliner Fakultät zur Durchführung gelangen sollten, würde die letzte im Bereich der DDR noch vorhandene Wirtschafts-Fakultät zerschlagen und das Ansehen der Universität Berlin in ganz Deutschland erheblich herabgesetzt werden“ (in Hesse und Rischbieter 2010: 262).

Nach einer erfolglosen Petition an das Ministerium für Volksbildung zogen auch diese drei Professoren den Schluss nicht mehr an der Humboldt Universität arbeiten zu können. Mellerowicz und Rogowsky kündigten, und Schneider kehrte nicht mehr aus dem West-Urlaub zurück. Der linientreue, aber fachlich beschränkt geeignete August Stitz folgte auf Mellerowiczs Lehrstuhl. Nach Einführung der neuen Studienordnung Anfang 1950 war von allen Gründungsprofessoren somit nur noch Jürgen Kuczynski anwesend (siehe Tabelle 1).

Im Laufe der 50er Jahre wurden weitere Stimmen laut, die ihre Unzufriedenheit mit der neuen Studienordnung äußerten. So sahen viele, dass die Ausbildung in Politischer Ökonomie des Sozialismus war der praktischen Ausbildung nicht immer dienlich war. Dies wurde sogar bei einer Evaluation vom Ministerium für Volksbildung angemahnt: die Lehre zeichnete sich durch „ungenügende kämpferische Haltung, bloße Vermittlung von Fachkenntnissen, Scholastik, dogmatischen Aufbau“ aus (Hesse und Rischbieter 2010: 267). Erwin Rohde, ab 1962 Professor und Dekan der Fakultät (1964-1968), kritisierte 1956, damals noch als Mitarbeiter am Institut für Finanzwesen, den Stand der Ausbildung nach der II Hochschulreform wie folgt:

"Die neuen Aufgaben des 2. Fünfjahresplans, vor denen die Wirtschaftswissenschaftlern stehen, erfordern es, dass die Ausbildung des wirtschaftswissenschaftlichen Kaders grundlegend verbessert wird. ...Es ist erwiesen, dass die in den Jahren 1951/1952 eingeführten Studienpläne und Studienmethoden eine Reihe schwerwiegender Mängel aufweisen, die unbedingt beseitigt werden müssen. Einer der entschiedensten Mängel der bisherigen Lehr- und Studienmethoden besteht darin, dass der Student nicht zum wissenschaftlichen Denken erzogen wurde. Die schulmäßige Durchführung von Seminaren führte zum schablonenhaften Denken. An die Stelle wirklichen Durchdenkens der Probleme trat ein Abfragen, das sich oft auf das Wiederkauen des in der Vorlesung gebotenen Stoffes beschränkte." Als Beweis galt im wissenschaftlichen Meinungsstreit oft nicht die Wirklichkeit, sondern das Zitat. (in Schneider 1997: 239).

An diesem Zustand konnten die Verleihungen von Ehrendoktoren wie zum Beispiel an Che Guevara auch nichts ändern. Im Mai 1962 wurde sogar bei der Sitzung aller Dekane wirtschaftswissenschaftlicher Fakultäten der DDR die Konzentrierung der Ausbildung in Berlin an der Hochschule für Ökonomie diskutiert, und damit die Schließung der Fakultät an der Humboldt Universität (Hesse und Rischbieter 2010: 268).