Durch den Prozess der Entnazifizierung fehlten viele Lehrkräfte. Für die Übergangszeit mussten teilweise Spezialisten aus der Praxis angeworben werden (Rechtsanwälte, Bankdirektoren und Facharbeiter). Um den Aufbau der Verwaltung und der Universität voranzutreiben schöpfte die Sowjetische Militäradministration aus einem reichen Angebot aus Exilkommunisten und Antifaschisten, die zum Teil schon in der Sowjetunion ausgebildet worden waren, zum Teil aber aus dem westlichen Ausland zurückkehrten. Die wohl entscheidendste Berufung für den Wiederaufbau der Fakultät nach dem Krieg war der aus dem englischen Exil zurückgekehrte Jürgen Kuczynski. Kuczynski wurde während des Krieges vom US-amerikanischen Geheimdienst, dem Office of Strategic Services, als Statistiker rekrutiert. 1944/45 arbeitete er als Statistiker in der US-Army. Zu Kriegsende arbeitete er an der von John Kenneth Galbraith geleiteten Forschungsgruppe prominenter Ökonomen US Strategy Bombing Study mit. Bis zum Sommer 1944 war er Mitglied der Leitung der KPD-Emigrantenorganisation in Großbritannien. 1945, nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er Präsident der Zentralverwaltung für Finanzen in der Sowjetischen Besatzungszone, und 1946 auf den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte berufen, den er bis 1956 inne hatte. Jürgen Kuczynski war maßgeblich für die Gestaltung der Wirtschaftswissenschaften der Nachkriegsjahre. Er wurde später für seine Kontroverse Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in der Öffentlichkeit bekannt. 1949 bis 1958 war er Mitglied der Volkskammer. Kuczynski sollte einer der prominentesten Wissenschaftler der DDR werden.
Die Berliner Universität wurde im Januar 1946 wiedereröffnet. Kurz nach den Eröffnungen gründete sich der Arbeitskreis zur Bildung einer Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, die sich aus der Wirtschaftshochschule einerseits und dem Wirtschaftswissenschaftlichen Institut der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät andererseits bilden sollte. Anlass war eine Überlegung der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung und ein Exposé Bruno Gleitzes, in dem er für die Zusammenlegung vom Wirtschaftsinstitut der Universität und der Wirtschaftshochschule plädierte, um eine Grundlage für den Aufbau der Planwirtschaft zu schaffen (Originaltext). Die Mitglieder des Ausschusses waren Bruno Gleitze und Jürgen Kuczynski von Seiten der Universität sowie Rektor und Prorektor der Wirtschaftshochschule, Bruno Rogowsky und Oswald Schneider.
Grund der Zusammenlegung der beiden Institutionen war gewiss die in einem sowjetischen Kontext gestiegene Bedeutung der politischen Ökonomie einerseits und gesunkene Bedeutung der Betriebswirtschaftslehre andererseits. Praktischer Grund war aber auch die fehlende Finanzierung der Wirtschaftshochschule. Ihr früherer Hauptgeldgeber, die Industrie- und Handelskammer, war als Organisation der NS-Verwaltung aufgelöst worden. Der Berliner Magistrat (als Träger der Wirtschaftshochschule) erhoffte sich Einsparungen durch die Zusammenlegung. Die Gebäude der Hochschule gingen zur mietfreien Nutzung an die Universität, die sich im Gegenzug verpflichtete, alle Kosten für die Instandhaltung, alle Institute und die Ausbildung der Betriebswirte im bisherigen Umfang zu übernehmen. Trotz des zunächst höheren Anteils der Betriebswirtschaftslehre, der sich aus der Integration ergab, verlor diese schnell an Bedeutung. Die Versuche der Hochschul-Betriebswirtschaftler, das Gleichgewicht an der neuen Fakultät mit Hilfe gezielter Berufungen zugunsten der Betriebswirtschaft zu verschieben (sowie Walter Le Coutre, Friedrich Henzel, Eugen Schmalenbach), schlugen fehl (Hesse und Rischbieter 2010: 259). Dieter Schneider spricht in seinem geschichtlichen Aufriss der DDR von der praktischen Abschaffung der BWL (Schneider 1978: 150)
Die neue Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät wurde am 5. August 1946 gegründet und am 14. Oktober feierlich eröffnet. Die Staats- und Rechtswissenschaftliche Fakultät, deren Bestandteil das Wirtschaftsinstitut bisher gewesen war, wurde aufgelöst und dafür eine Juristische Fakultät geschaffen. Die Kernfakultät wurde aus den Mitgliedern des Gründungsausschusses gebildet. Neuer Dekan wurde Bruno Gleitze, Prodekan Bruno Rogowsky. Gleitze war mit 16 Jahren in die SPD eingetreten, promovierte in Volkswirtschaftslehre und arbeitete in der Berliner Gewerkschaftszentrale als Sozialstatistiker, bis er von den Nationalsozialisten entlassen wurde. Er überlebte die NS-Zeit als Statistiker in der AEG. Mit der Vereinigung von SPD und KPD im Jahr 1946 wurde Gleitze SED-Mitglied. Bis zu seiner Petition gegen die Studienordnung 1950 setzte er sich für die Betriebswirtschaftslehre und gegen deren marxistische Umgestaltung ein.
1947 und 1948 wurde eine zweite Welle von neuen Professoren berufen. Mit Joseph Winternitz berief die DVV-Leitung einen engagierten Vertreter des Marxismus, der Einführungen in die marxistische Politische Ökonomie anbieten konnte (Hesse und Rischbieter 2010). Winternitz stellte Anträge zur Erteilung von Lehrauftragen für Eva Altmann, Grete Wittkowski, Greta Kucknoff, und Willi Rumpf. Friedrich Lenz (Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsplanung) und Heinz Sanke (Wirtschaftsgeographie) stärkten seit 1947 die volkswirtschaftlichen Institute gegenüber den traditionellen Betriebswirtschaftlern. Lenz forschte schon in den 1930er Jahren zur Planwirtschaft, war dennoch bürgerlich insofern er auf das Privateigentum beharrte (Zschaler 1984: 68-77). Zu diesem Zeitpunkt wurden auch wieder ehemalige Mitglieder der NSDAP aufgenommen (Konrad Mellerowicz und Richard Müller-Freienfels) sowie Anhänger der SPD. Hierunter war Karl Steinhoff, der von den Nationalsozialisten 1932 in den Vorruhestand geschickt, und Jahre später von Stalin als Ministerpräsident Brandenburgs zwangspensioniert wurde. Auch Ernst Schellenberg war ein SPD Anhänger. Weniger politisch motivierte Neuberufungen waren Walter Moede 1950 (Arbeitspsychologie) und der aus der Finanzverwaltung stammende Ernst Kaemmel 1949 (Steuerrecht). Richard Fuchs war für den Lehrstuhl Wirtschaftspädagogik vorgesehen. Damit war die 1. Phase der Umstrukturierung der Wirtschaftswissenschaften nahezu abgeschlossen. Nach diesen politisch nicht nur sowjetloyalen Berufungen der 1. Phase der Umstrukturierungen schrieb Kuczynski 1947 in seinem Aufsatz „Soll eine Universitätslehrer Propaganda betrieben?“: „Auf die Katheder unserer Universitäten aber gehören Professoren, Bekenner eines demokratischen Deutschland“ (1947).
Die Fakultät war in den ersten 5 Nachkriegsjahren keine politische Parteischule. Neben dem Erwerb von juristischen, statistischen, pädagogischen und wirtschaftstheoretischen Kenntnissen wurde die ideologische Ausbildung Teil des Studiums ohne dieses zu durchdringen. Entnazifizierung und Sowjetisierung waren durch Jahre getrennt. Laut Wollmann konnte man die Fakultät zwischen 1946 und 1951 sogar „bürgerlich“ nennen (2010: 4). Dies änderte sich jedoch mit dem Abgang der ersten Generation von Professoren und vor allem mit der II. Hochschulreform.
Im August 1951 erhielt die Berliner Universität den Namen „Humboldt-Universität“. Auch um die Distanz zur jüngsten NS-Vergangenheit zu betonen. Dennoch wurde der Humboldtsche Geist der Selbstverwaltung nicht wieder aufgenommen, was spätestens mit der II. Hochschulreform 1951 vielen „bürgerlichen“ Professoren deutliche wurde.
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