Dreimal zur Zeit der Weimarer Republik stand eine Berufung Joseph Alois Schumpeters nach Berlin zur Debatte: 1919 an der Handelshochschule, 1925 und 1932 an der Berliner Universität. Alle drei Versuche sind fehl geschlagen. In den Debatten um die Berufung kommen die verschiedenen Haltungen zum Ausdruck, die das Seminar zur Zeit der Weimarer Republik dominierten. Diese Debatten stießen damals auf großes internationales Interesse (siehe Stolper 1994: 311-12.)
Das erste Mal versuchte die Handelshochschule 1919/1920 den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, der mit Werner Sombarts Wechsel auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie an der Berliner Universität frei wurde, mit Schumpeter zu besetzen. Dieser musste allerdings nach fast einjähriger Verhandlung und in Berlin sicher geglaubtem Wechsel erst aufgrund Verpflichtungen als Finanzminister in Österreich und darauf aus persönlichem Anlass von seinem Rücktrittsrecht im Juli 1920 Gebrauch machen. Eine erneute Anfrage der Handelshochschule einige Monate später lehnte er mit der Begründung ab, dass seine Lage eine sichere Zusage nicht erlaube (Schumpeter 1920). Ob Schumpeter wirklich verhindert war, den Ruf an die Handelshochschule anzunehmen, kann bezweifelt werden, denn einerseits war sein Ansehen seit der Veröffentlichung seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ hoch und die Handelshochschule als privates Institut nicht attraktiv. Er beantwortete die Anfragen spärlich, lässt Möglichkeiten einen Vertreter der Handelshochschule in Wien zu treffen wiederholt aus. Er tritt nur wenige Tage vor Ablauf des Rücktrittsrechts von seiner Lehrverpflichtung zurück. Es war unmöglich einen Ersatz für Schumpeter zu finden. (Schumpeter 1920)
1925 ließ der Dekan der Philosophischen Fakultät die Professoren und Dozenten befragen, welche Personen als Nachfolger Max Serings in Betracht kämen. Drei eruierbare Stimmen für Schumpeter stammten von Hermann Schumacher, dem bei Schumacher promovierten Walter Eucken, und Charlotte Leubuscher, eine Mitbegründerin der Entwicklungökonomie (HU Archiv Philo-Fak. Nr. 1472) Die weiteren Entscheidungen zur Besetzung des Lehrstuhls standen aber nicht mehr in Verbindung zu Schumpeter, und es wurde Aereboe berufen. Schumpeter wurde 1925, auf die Empfehlung Euckens hin (der an zweiter und dritter Stelle auch Friedrich Aereboe und Brinkmann empfahl), an die Universität Bonn berufen. Eucken unterstreicht die theoretischen Leistungen Schumpeters. Zwar sei sie vielfach kritisiert worden, doch müsse zugegeben werden, „dass er in seinen gedankenreichen Arbeiten kraftvoll eine in sich geschlossene nationalökonomische Theorie entwickelt, die als Ganzes durchaus originell ist.“. So schreibt auch Leubuscher seine theoretischen Arbeiten für herausragend und „seine dogmenhistorischen Arbeiten [zeugten] von einer außerordentlichen Beherrschung des Stoffes, nicht nur hinsichtlich der deutschen, sondern vor allem auch hinsichtlich der ausländischen Literatur“ (HU Archiv Phil-Fak. Nr. 1472: 2).
1932 waren drei Lehnstühle in Berlin vakant; der alte Schmoller Lehrstuhl aufgrund der Emeritierung Herners, der alte Wagner Lehrstuhl aufgrund der Emeritierung Sombarts, und der Lehrstuhl von Bortkiewicz. Hier fiel die Antwort auf die Berufungsfrage Schumpeters sehr viel eindeutiger aus. Als Schlüsseldokument findet man im Universitätsarchiv das Protokoll der Fakultätssitzung vom 23. Juni 1932. Der Dekan hatte eine Kommission einberufen, die über die Berufung Schumpeters beraten sollte. Die Kommission lehnte die Berufung ab, und begründete ihre Entscheidung damit, dass es notwendiger sei, eine Lehrkraft zu gewinnen, die auf dem Gebiet der Agrarwissenschaft, in Nachfolge Max Serings, gefestigt sei. Ferner werde ein theoretischer Statistiker, als Nachfolger für Professor Bortkiewicz gesucht, aber auch diesen Posten könne Schumpeter nicht ausfüllen. Es gäbe weitere Vorbehalte, die allerdings erst auf Anfrage des Ministeriums ausgeführt werden würden. Diese ablehnende Haltung mag sicher auch mit den Intrigen Werner Sombarts zu tun gehabt haben, der Schumpeter stets als seinen persönlichen Rivalen betrachtete.
Emil Lederer, ein ehemaliger Kommilitone Schumpeters aus Wien und ebenfalls Kommissionsmitglied, teilte diese Auffassungen nicht. So wird Emil Lederer im Protokoll der Fakultätssitzung vom 23. Juni 1932 folgendermaßen zitiert: „In grundsätzlicher Anerkennung der im Votum der Kommission ausgesprochenen Bedürfnisse des Lehrbetriebes der Nationalökonomie halte ich doch Professor Schumpeter, Bonn, für eine so hervorragende Persönlichkeit, und seinen Weggang an die Harvard-Universität für einen so großen Verlust, dass ich zu meinem Bedauern gegen den seine Berufung ablehnenden Bericht der Kommission stimmen muss.“ (HU Archiv, Phil-Fak. Nr. 39, 1932). Darauf folgt im Protokoll der Satz: „Der Bericht wird hierauf mit allen Stimmen gegen die des Herrn Lederer angenommen“.
Die Ablehnung zeigt deutlich, wie stark der Einfluss der Theoriefeindlichkeit der historischen Schule und die Ablehnung neuerer Ansätze in Berlin war. Mit Schumpeter wäre ein echter Gegenpol nach Berlin gekommen, der es vermocht hätte die Ablösung des Historismus aktiv einzuleiten, was mit einem Machtverlust vieler aktiver Professoren gleichzusetzen gewesen wäre. In Deutschland sei kein „ordentliches Arbeiten“ möglich und „die Luft durch persönliche Eitelkeit“ verpestet, schreibt Eucken 1928 zur Lage der Nationalökonomie. „Will man die Situation ändern, müssen neue, frische Kräfte herein, die theoretisch etwas können und einen Sinn für die Tatsachen haben“, schrieb dieser vielleicht mit die Berliner Berufungsdebatte im Hinterkopf.
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Joseph Schumpeter Quelle: Volkswirtschaftliches Institut, Universität Freiburg |
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