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1882-1933: Das staatswissenschaftlich-statistische Seminar

Pluralismus und disziplinäre Ausdifferenzierung in der Zwischenkriegszeit

Mit dem Kriegsende begann eine Umbruchzeit auch für das staatswissenschaftliche Seminar. Sowohl Adolph Wagner als auch Schmoller verstarben beide 1917. Wagner sollte durch Werner Sombart von der Handelshochschule ersetzt werden, und Schmoller durch Heinrich Herkner (Hagemann 2012). Dieser übernahm auch Schmollers Vorsitz des Vereins für Socialpolitik. Die bewegte Zeit der Weimarer Republik wirkte sich als eine Zeit des Pluralismus und einer „neuen Unübersichtlichkeit“ aus, in der der Historismus seine Führungsrolle verlor (Hagemann 2012). Die wirtschaftlichen Probleme, mit denen sich die Weimarer Republik konfrontiert sah, trugen dazu bei, den Druck auf die Öffnung der im Historismus verankerten Volkswirtschaftslehre zu erhöhen. Die Versailler Verträge belasteten das Deutsche Reich mit hohen Reparationszahlungen, und die seit Ende des Weltkriegs bestehende Inflation sollte ab 1922 und 1923 in eine Hyperinflation münden. So kritisierte zum Beispiel Moritz Julius Bonn, ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre an der Handelshochschule Berlin und Delegationsmitglied bei der Aushandlung des Versailler Vertrags:

„Die wirtschaftliche Erziehung der preußischen Bürokratie lag jahrelang in den Händen Schmollers und seiner Schüler. Ihr negatives Ergebnis wurde in der Inflationskrise nach dem Ersten Weltkrieg sichtbar. […] Es gab kaum jemanden im preußischen und Reichsfinanzministerium, der etwas von Inflation wusste.“ (nach Kulla 1996: 189).

In den Nachkriegsjahren sind die Studierendenzahlen schnell gestiegen, und es kam bei weiterer verschlechterter wirtschaftlicher Lage zu einem Massenandrang an die Universitäten. Eine neue Generation von Studierenden brachten auch neue Ansprüche und Fragen an die Staatswissenschaften.

Unter denen 1920 am Seminar tätigen Professoren waren Max Sering, Werner Sombart, Heinrich Herkner, Ludwig Bernhard, Hermann Schumacher, und ab 1926 Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld, welche noch alle dem Historismus anhingen. Ladislaus von Bortkiewicz machte hier als Statistiker eine Ausnahme, und auch der 1919 neuberufene Ernst Wagemann kann man trotz seiner theorielosen Statistik nicht dem Historismus zuordnen. Die Öffnung des Historismus drückte sich in mehreren neuen Forschungsrichtungen aus. Zum einen gewann die theoretische Schule eine größere Bedeutung. So interessierte sich Hermann Schumacher, und ab 1931 Emil Lederer für Wirtschaftstheorie, der den renommierten Lehrstuhl von Werner Sombart übernahm. (Schumacher 1911). Daneben gewann die Soziologie an Gewicht. Die Soziologie hatte an einigen Universitäten wie in Frankfurt und Köln schon eigene Fachbereiche. Seit 1909, 40 Jahre nach der Gründung des Vereines für Sozialpolitik, besteht die in Berlin gegründete Deutsche Gesellschaft für Soziologie. Dies konnte sich aber in Berlin nicht durchsetzen, so dass die Soziologie an das Staatswissenschaftliche Seminar angebunden blieb. Werner Sombart, bekannt als Soziologe und Nationalökonom, und schillernde Persönlichkeit zwischen Kommunismus, Historismus und Antisemitismus, stieg in den zwanziger Jahren zu einer neuen Koryphäe der Universität auf. Er begeisterte sich in seinen frühen Jahren mehr als sein Lehrer Schmoller für den Marxismus. Bald darauf begannen weitere Wissenschaftler sich mit dem Marxismus in Forschung und Lehre zu beschäftigen. So wurde Heinrich Cunow, Marxist, Wirtschaftshistoriker und Ethnologen, 1919 zum außerordentlicher Professor für Völkerkunde berufen. Paul Lensch, Professor seit 1919 zählte ebenfalls zu den Linken SPD Professoren. Revolutionäre Lehren wurden jedoch von kaum einem Lehrenden vertreten.

Auch die Statistik löste sich zunehmend von der historischen Schule. So forderte Rudolf Meerwarth, dass Statistik nicht mehr eine bloß deskriptive Aufgabe habe, sondern zugleich auch Entwicklungen der Wirtschaft vorhersagen und erklären sollte. Auch der damalige Leiter des Statistischen Reichsamts, Ernst Wagemann, war dieser Meinung. Dieser gründete 1925 das Institut für Konjunkturforschung, das sich an bereits bestehenden Instituten orientiert, wie das 1914 gegründete Institut für Weltwirtschaft in Kiel, oder das 1920 gegründete National Bureau of Economic Research in den Vereinigten Staaten. Gelten die 20er Jahre und die frühen 30er Jahre als der Anfang der Ökonometrie, die sich zu diesen Zeiten noch deutlich von der Wirtschaftstheorie unterschied, so war Berlin keineswegs vom Zeitgeist der Volkswirtschaftslehre getrennt. Zwei Jahre später, 1927, gründete Friedrich von Hayek auf Initiative von Ludwig von Mises in Wien das Österreichische Institut für Konjunkturforschung. Wagemann erarbeitet sich einen international anerkannten Ruf, und wurde 1932 mit dem sogenannten „Wagemann-Plan“ als Antwort auf die Wirtschaftskrise bekannt geworden. Dieser argumentierte für die Ausweitung der Geldmenge, die teilweise Aufhebung des Goldstandards, um die Banken zu entlasten (Tooze 1999).

Die Gründung weiterer Institute trugen ebenfalls zur Professionalisierung der Volkswirtschaftlehre bei (das 1922 von Max Sering gegründete Deutsche Forschungsinstitut für Agrar- und Siedlungswesen, die 1929 durch Julius Hirsch und Joachim Tiburtius gegründete Forschungsstelle für den Einzelhandel, das kommunalwissenschaftliche Institut Walter Nordens). Mit dem schwindenden Einfluss des Historismus und der zunehmenden Professionalisierung, wurden auch neue Schritte der Institutionalisierung des Studiums unternommen. Trotz einer ablehnenden Haltung von Spranger, Sering, Herkner, von Bortkiewicz, Hartung und Schumacher der Tendenz zum „Brotstudium“ (welche diese in der 1925 vorgelegten „Denkschrift und Ansätze zur Reform des staatwissenschaftlichen Unterrichts an der Berliner Universität“ (Originaltext) vorlegten, ließ sich die Entwicklung der Universität in Richtung einer berufsvorbereitenden Ausbildung nicht vermeiden (Zboralski 1986: 66f.). Damit bewegten sich die beiden Kulturen an dem staatswissenschaftlichen Seminar und der Handelshochschule aufeinander zu, so dass die Handelshochschule zunehmend an Bedeutung als eine zweite akademische Instanz gewinnen konnte. 1924 führte die Universität unter Protest von Hermann Schumacher das Diplomexamen ein und ab 1928 macht in den Vorlesungsverzeichnissen die Bezeichnung Staats-, Kameral- und Gewerbewissenschaften Platz für Staats- und Sozialwissenschaften (Schmölders 1960: 168).

In den 1920er Jahren entwickelte sich die Handelshochschule Berlin zur größten deutschen betriebswirtschaftlichen Lehr- und Fortbildungsstätte. Nach der Vereinigung der Kaufmannschaft und der Handelskammer 1920, übernahm die Handelskammer die Verwaltung der Handelshochschule und garantierte jährliche Zuschüsse. Die Studienreform von 1924 erschwerte die Zulassungsbedingungen, wonach nun ein Reifezeugnis einer neunklassigen höheren Lehranstalt verlangt wurde (welches man aber auch nachträglich ablegen konnte). Die Hochschule ähnelte immer mehr dem Universitätsbetrieb. 1926 wurde die Hochschule als wissenschaftliche Hochschule mit Promotionsrecht anerkannt, es wurde eine neue Hochschulverfassung verfasst und das Studium auf sechs Semester erhöht. Zu erwähnen ist auch, dass 1927 der ebenfalls an der Handelshochschule lehrende Willi Prion an der Technischen Hochschule den Studiengang des Wirtschaftsingenieurs gründete und 1929 die erste Professur für Wirtschaftspädagogik an Hermann von Seefeld vergeben wurde (Buer 2006: Originaltext).

Ladislaus von Bortkiewicz
Quelle: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin
Max Sering
Quelle: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin