Am 20. September 1990 wurde von der Volkskammer der DDR der Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR angenommen. Der Vertrag legte fächerweit fest, wer unmittelbar aus dem Dienst entlassen werden muss: die alleinige SED-Mitgliedschaft war nicht ausschlaggebend für eine Kündigung. Allein die nachweisbare Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR galt als sofortiger Kündigungsgrund. Am 4. Dezember 1990 begann die Überprüfung des Personals an allen Ostberliner Einrichtungen (Vollrath 2008: 69f.). Die ostdeutschen Mitarbeiter mussten Fragebögen ausfüllen und ihren beruflichen und politischen Werdegang gewissenhaft dokumentieren (Jarausch 2010: 615-57.).
Einige Fächer sollten darüberhinaus eine besondere Umgestaltung erfahren, nämlich diejenigen, welcher der Senat als „ideologisch besonders belastete“ Fächer einstufte. Darunter zählte man pauschal die Philosophie, die Geschichts-, Erziehungs- und Rechtswissenschaften und auch die Wirtschaftswissenschaften. Für diese Fächer sah die Gesetzgebung eine sogenannte „Abwicklung“ vor. Die Abwicklungen wurden vom Berliner Senat ausgehend von den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz vom Dezember 1990 außeruniversitär in die Wege geleitet. In dieser ersten Phase nach dem Mauerfall bis Januar 1991 war Barbara Riedmüller-Seel, zuvor und danach Vizepräsidentin der FU, Berliner Senatorin für Wissenschaft und Forschung in Mompers Senat.
Nachdem klar wurde, dass es zu einer Abwicklung kommen wird, wurde eine Personal- und Strukturkommission gewählt. Dies war der letzte Versuch des Rektorats aus eigener Kraft eine inneruniversitäre Reform durchzuführen. Selbst als gewähltes Mitglied bezweifelte Schmerbach jedoch, dass diese Kommission wirklich einen Neuaufbau verwirklichen konnte, da es schwierig war, sich erfolgreich unter ostdeutscher Leitung in kürzester Zeit in das neue westdeutsche System zu integrieren. So erinnerte sie sich, dass es „ausgesprochen schwierig war, das neue Berufungssystem zu durchschauen. Von strategischen und taktischen Verhandlungen und Rückverhandlungen wussten wir wenig“ (persönliches Gespräch). Die Kommission nahm nie wirklich ihre Arbeit auf, weil deutlich war, dass die Abwicklung mit Hilfe externer Professoren durchgeführt werden sollte, wie es auch gesetzlich für die Kommission verlangt war.
Der erste Schritt der Abwicklung bestand darin, dass die in der DDR unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse aller Angestellter (Professoren wie Mitarbeiter) befristet wurden. Das Ziel war, die Mitarbeiter in eine „Warteschleife“ (Vollrath 2008: 76f.) zu versetzen, bis sich die Struktur- und Berufungskommissionen in den abgewickelten Sektionen etablierten. Diese hatten zur Aufgabe, die Sektionen neu zu strukturieren und alle Stellen, die in den vom Senat vorgegebenen Haushalt passten, neu auszuschreiben. Demnach sollten sich die nun befristeten Mitarbeiter auf ihre eigenen Stellen in Konkurrenz mit anderen Wissenschaftlern aus der ganzen Welt neu bewerben. Bis zum 31. Dezember 1991 sollte die Abwicklung durchgeführt werden. Als einzige ostdeutsche Universität klagte die Humboldt-Universität unter der Initiative des Rektors Heinrich Finks gegen die Abwicklung. Am 18. März 1992, nachdem Fink als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi („IM Heiner“) entlarvt wurde, und einem Jahr nach der Einrichtung der Berufungs- und Strukturkommission, erklärte das Oberverwaltungsgericht Berlin die Abwicklung in der Tat für rechtswidrig (Pasternack 1999: 255). Diese Entscheidung begründete das Gericht damit, dass man nur solche Fachbereiche abwickeln dürfe, die gänzlich aufgelöst werden sollten, nicht aber solche Fachbereiche, die bloß erneuert werden sollten.
Die Befristungen betrugen teilweise nur 6 Monate, zunächst bis Ende 1991, dann verlängert bis Ende 1992. Es war jedem freigestellt kurzfristig zu kündigen. Noch vor der Etablierung der Struktur- und Berufungskommission im Frühjahr 1991 verließen in der Tat viele Wirtschaftswissenschaftler die Fakultät. Zum einen gab es Dozenten, die den unsicheren Schwebezustand zwischen entlassen werden und angestellt bleiben nicht akzeptieren wollten. Auch gab es viele junge Lehrende, die in private Unternehmen wechselten, da vor allem westdeutsche Unternehmen um qualifizierte Wirtschaftswissenschaftler aus dem Osten warben. Schon nach dem freiwilligen Weggang vieler Lehrenden stand die Fakultät vor einem „personellem Desaster“ (Die Zeit, 29.03.91). Waren im Januar 1990 noch etwa 200 wissenschaftliche Mitarbeiter und Professoren an der Sektion tätig, sind in nur 14 Monaten 49 wissenschaftliche Mitarbeiter und 16 Hochschullehrer gegangen. Der damalige Dekan Kolloch stellte fest, dass am 29. März 1991 nur noch 23 lehrende Wirtschaftsprofessoren an der Universität tätig waren. Nach der Neugründung der Fakultät im Januar 1993 waren alle Verträge aus der Vorzeit ungültig. Neue Einstellungen erfolgten aber nur sehr wenige – Ulrich Busch und Helga Paarmann waren die einzigen für die Volkswirtschaftslehre, wobei Paarmann bald darauf die Universität wieder verlies. Somit war 1993 Ulrich Busch der einzige ostdeutsche Mitarbeiter von den ursprünglich 49 Wissenschaftlern aus dem Bereich der Volkswirtschaftslehre, der noch an der Fakultät arbeitete und einen neuen, befristeten Arbeitsvertrag bekam.
Weitere 13 Abgänge von Professoren waren durch andere Gründe bedingt. Hierzu gehörte erstens die Vorruhestandsregelung, die es Mitarbeitern ermöglichte, sofern sie das 60., später sogar das 56. Lebensjahr erreicht hatten, in den Ruhestand zu gehen. Aber auch der „moralische Druck“ sorgte dafür, dass Wissenschaftler die Fakultät vorzeitig verließen (Die Zeit, 29.03.91). Die neu gegründete „Gauck-Behörde“ war seit dem Frühjahr 1991 damit beschäftigt, alle Professoren und Mitarbeiter der HU zu überprüfen. Einige Mitarbeiter, die für die Staatssicherheit gearbeitet hatten, gingen von selbst, andere versuchten unentdeckt zu bleiben, und weitere haben sich selbst nach der Enttarnung vor Kündigungen gewehrt, wie die Journalistin Küpper berichtete (1993: 44). Selbst einem Mitglied in der Struktur- und Berufungskommission, Rudy „Rudolf“ Mondelaers, konnte Stasi-Tätigkeiten nachgewiesen werden, worauf die Kündigung folgte. Im Frühjahr 1991 berichtete die Berliner Presse über die HU im Allgemeinen: „Stasi-Belastete räumen das Feld nicht freiwillig“ (Berliner Morgenpost, 17.03.91).
Schätzungen zufolge arbeiteten in der Sektion ungefähr zehn Hochschullehrer, Dozenten, oder Mitarbeiter für den Staatssicherheitsdienst. Im Vergleich mit der gesamten Humboldt-Universität liegt dieser Anteil unter dem Gesamtwert: 150 von 780 Professoren an der HU wurden bei der SED „in der einen oder anderen Weise als inoffizielle Mitarbeiter geführt“ (Küpper 1993: 44f.). Dies entspricht ungefähr 20 % der gesamten Professorenschaft. Die Zahl der für die Stasi tätigen Professoren in der „besonders ideologiebelasteten“ wirtschaftswissenschaftlichen Sektion fiel demnach geringer aus als in anderen Bereichen. Nach den Überprüfungen durch die Gauck-Behörde war die HU mit den ermittelten 20% im Vergleich mit anderen Institutionen in der DDR „nicht besser, aber sicher auch nicht schlechter als andere Einrichtungen“ (Küpper 1993: 45).
Ein weiterer Grund für das Ausscheiden von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Professoren war die schlechte Haushaltslage des Berliner Senats. So wurden Professoren entlassen, die nicht im Haushalt des Senats vorgesehen waren und sich aufgrund ihrer Spezialisierung nicht an das westdeutsche Hochschulsystem anpassen konnten. So waren zur Wendezeit noch Lehrstühle wie Wirtschaftspädagogik, Demographie und Ökologie vertreten. Als eine der ersten Entscheidungen der Struktur- und Berufungskommission sind die Wirtschaftspädagogik zu den Erziehungswissenschaften, Wirtschaftsrecht zu den Rechtswissenschaften, Demographie zu den Sozialwissenschaften ausgelagert worden (wie dies auch schon zwischen den beiden Hochschulreformen 1952 und 1968 der Fall war). Der ehemaligen Methodenbereich Mathematik, Statistik, und Informatik wurde jedoch nicht in die jeweiligen Fachwissenschaften verlegt. Der Bereich Ökologie ist hierbei komplett entfallen. Ebenfalls lehnte die Struktur- und Berufungskommission einen Lehrstuhl für Marxismus ab.
Aufgrund des knappen Berliner Haushalts plädierte man vor allem an der Freien Universität Berlin für die Zusammenlegung der FU und HU. So sah z.B. der VWL-Professor der FU, Frank Klanberg, das Land Berlin nicht in der Lage, für den Unterhalt von drei Universitäten aufzukommen. Dies hätte auch unmittelbare Folgen für die Wirtschaftswissenschaft gehabt, die Klanberg zusammen mit der Rechtswissenschaft in Dahlem besser aufgehoben sah (Berliner Morgenpost, 25.04.91). Auch der damalige FU-Präsident Johann Wilhelm Gerlach hegte die Vision der „Freien Universität Unter den Linden“ (Küpper 1993: 11), indem er sich vorstellte, die FU möge in die alten Gebäude der HU ziehen.
Letztendlich entschied sich die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung unter der Leitung Manfred Erhardts für die gesamte Überführung der Ostberliner Hochschulen. So heißt es im Berliner Hochschulstrukturplan von 1993, dass an allen drei Universitäten die Wirtschaftswissenschaft erhalten bleiben soll, diese aber eine eigene Profilierung vornehmen mussten (Grütters 1993: 52). Diese Aufgabe wurde von der Struktur- und Berufungskommission der Sektion Wirtschaftswissenschaften übernommen. Mit dieser Anforderung auf eine eigenständige Spezialisierung, aber vor allem mit der Berufung des „Gründers“ der westdeutschen mathematischen Wirtschaftstheorie, Wilhelm Krelle, musste allen deutlich geworden sein, dass sich die Sektion, nicht wie im Leistungsprofil 1990 beschlossen, durch ihre Breite, geschweige denn durch die Integrierung von östlicher und westlicher Wirtschaftswissenschaft, auszeichnen sollte. So haben sich von den 33 Professoren der DDR Zeit nur 10 auf ihre eigene Stelle neu beworben.
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| Protesten der Studierenden gegen der Abwicklung von Studiengängen und die Entlassung von Professoren, 1991. Quelle: Der Tagesspiegel, 06.02.14 |
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