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1933-1945: Nationalsozialismus

Gleichschaltung

Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 feierten die Nationalsozialisten den „Tag der nationalen Erhebung“ und den Beginn ihrer Machtübernahme. Mit dieser begann auch die Ära der nationalsozialistischen Ideologie, die getragen war von einem imperialen Nationalismus und einem rassistischem Antisemitismus. Dies führte nicht nur in Gesellschaft und Politik zur „Gleichschaltung“ der Ideen, sondern auch in der Universität, und zwar auf personeller, administrativer, wie auf inhaltlicher Ebene. Selbst die Idee der Universität sollte eine „deutsche“ werden, was sich in einem Primat der Politik und einem Anti-Intellektualismus ausdrückte.

Während die Weimarer Verfassung die Selbstverwaltung der Universität und Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre sicherte, wurden im Nationalsozialisten bereits kurz nach der Machtergreifung entsprechend des politischen Systems die Selbstverwaltung der Universität aufgehoben und nach dem Führerprinzip umgestaltet. Dies bedeutete, dass der Universitätsrektor nicht mehr von den Lehrkräften gewählt wurde, sondern von Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) in Verbindung mit anderen nationalsozialistischen Organisationen wie dem Studentenbund ernannt. Der Universitätsrektor ernannte wiederum alle übrigen Positionen wie Dekane, Institutsleiter und kontrollierte Neuberufungen, wobei diese Entscheidungen wiederum stets von dem Reichsministerium überwacht wurden (Janssen 2000: 159).

Gemäß der Rassenlehre sollten „volksfremde“, also nichtarische Professoren und Studenten ausgeschlossen werden. Gesetzliche Grundlage war das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 (Reichsregierung 1933a: Originaltext), das „Gesetz gegen Überfüllung deutscher Hochschulen“ von 1933 (Reichsregierung 1933b: Originaltext), sowie das „Gesetz über die Entpflichtung und Ersetzung von Hochschullehrern aus Anlass des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens“ vom Januar 1935 (Reichsregierung 1935: Originaltext). Johannes Popitz, Honorarprofessor des Seminars, war als preußischer Finanzminister an diesen Gesetzgebungen beteiligt. Im Paragraph 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des deutschen Beamtentums heißt es „Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand zu versetzen“. Paragraph vier besagte, dass diejenigen, die nach ihrer „bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, aus dem Dienst entlassen werden können“. Die Möglichkeit für den Staat eintreten zu können, oder sich dieser zu verweigern, scheint in den Staatswissenschaften offenbarer als in anderen Fächern. In der Tat waren die Staatswissenschaften deutschlandweit stärker von dem Gesetz betroffen als andere Fachbereiche.

Nicht jedoch in Berlin. Der Anteil der entlassenen Professoren in den Staatswissenschaften der Friedrich-Wilhelms-Universität war im Vergleich mit anderen Fachbereichen gering. Als einziger ordentlicher Professor musste Emil Lederer aufgrund seiner jüdischen Herkunft und als Mitglied der SPD die Universität verlassen (Hagemann 2009). Zu beachten ist jedoch, dass die meisten Lehrende mit jüdischer Herkunft vielfach nicht als ordentliche Professoren tätig waren. In Berlin waren 1924 6% der ordentlichen Professoren jüdischer Herkunft, jedoch 17% der Privatdozenten und 28% der außerordentlichen Professuren (Tenorth 2012: 181). So mussten als Dozenten und außerordentliche Professoren Alfred Manes, Walter Norden, Charlotte Leubuscher, Fritz Baade, Gustav Mayer, Julius Hirsch, Ludwig Bernhard, Julius Flechtheim, Erich Kaufmann und Arthur Liebert die Universität verlassen. Von dem Lehrpersonal der Handelshochschule mussten aufgrund der neuen Gesetzgebung 29 Wirtschaftswissenschaftler entlassen werden (darunter Franz Eulenburg und Carl Landauer). Auch Professoren, die schon im Ruhestand waren, wie der Marxist Heinrich Cunow, wurden die Ruhestandbezüge entzogen.

Dieser Anteil an Entlassungen an der Universität war geringer als in anderen Fachbereichen der Friedrich-Wilhelm-Universität, die bis zu 25% ihres gesamten Lehrkörpers verloren. Auch war dieser Anteil geringer als in anderen staatswissenschaftlichen Instituten anderer Universitäten, wo die Wirtschaftswissenschaften mit im Durchschnitt 24% Entlassungen zu den am stärksten betroffenen Wissenschaftlern an deutschen Universitäten gehörten. In Frankfurt, zum Beispiel, waren 40% der lehrenden Ökonomen von dem Gesetz betroffen, nachdem sogar die Schließung der Universität zur Debatte stand (Janssen 2000: 160). Ein wichtiger Grund für diese Kontinuität des Lehrkörpers war gewiss das historische Erbe in Berlin (siehe Abschnitt Historismus).

Ignaz Jastrow, Gründer der Handelshochschule und ordentlicher Professor an der Universität seit 1905 war der einzige jüdische Ökonom, welcher nicht nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen wurde. Doch durfte er nach der Machtergreifung nur noch im Ausland publizieren, und in der Öffentlichkeit durfte nicht mehr von ihm berichtet werden (Czech 2010: 62). Erst am 31.12.1935 wurde Jastrow von dem Staatswissenschaftlich-Statistischen Seminar entlassen. Zu seinem Tod 1937 erschien der Nachruf nur in jüdischen Zeitungen.

Emil Lederers Veranstaltung zur Wirtschaftspolitik übernahm erst Professor Friedrich Rauers und später Professor Constantin von Dietze. Am Kommunalwissenschaftlichen Institut, welches 1928 von Walter Norden gegründet wurde, setzte der ehemalige Assistent Nordens, Kurt Jeserich, dessen Arbeit und Lehrveranstaltungen fort. Willi Prion löste den jüdischen Betriebswirt Julius Hirsch ab, der als Honorarprofessor an der Wirtschaftshochschule wie an der Universität tätig war. Die Finanzwissenschaften, gelehrt von der einzigen Professorin Charlotte Leubuscher, gingen an Günter Schmölders und Kurt Jeserich über.

Viele der Professoren, die nicht durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus ihren Positionen vertrieben wurden, waren Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen. Die Berliner Universität zählte 1936 35 Hochschullehrer im Rahmen der staatswissenschaftlichen Ausbildung, von denen 17 Mitglied der NSDAP, und fünf der SA waren, darunter: Gottl-Ottlilienfeld, Horst Jecht, Kurt Jeserich, Jens Jessen, Günter Schmödlers, Heinrich von Stackelberg, Ernst Wagemann, Adolf Wagner, Arno Winter, Erwin Wiskemann, Hellmut Wollenweber, Hermann Schumacher und Theodor Beste (Zboralski 1986: 71f). Stackelberg und Beste gehörten dem Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund (Mitgliedsakten Stackelberg und Beste) an, eine Parteigliederung der NSDAP, die aus dem Nationalsozialistischen Lehrerbund hervorging. Zweck war die politische Kontrolle der Hochschullehrer, insbesondere die Einflussnahme auf Neuberufungen.

Jens Jessen und Werner Sombart waren darüber hinaus Mitglieder in der rechtswissenschaftlichen NS-Organisation der Akademie für deutsches Recht. Sie war die wissenschaftliche Zentralstelle für die „Schaffung eines arteigenen Rechts“ im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung und Instrument der rechtswissenschaftlichen Gleichschaltung der Gesellschaft (Janssen 2000: 210). Werner Sombart unterzeichnete als einziger seiner Kollegen das Dokument „Deutsche Wissenschaftler hinter Adolf Hitler“ (Völkischer Beobachter 1934 Nr.231/2, Originaltext). Der KommunalpolitikerKurt Jeserich organisierte als Vorsitzender des Gemeindetages kommunale Judenverfolgungen. Doch gab es auch Fälle wie Popitz und Jessen (zu Jessen, siehe hier). Popitz entschloss sich auf Grund der staatlichen Judenverfolgung nach den Novemberpogromen 1938 zum Widerstand und wurde 1944 nach dem Hitlerattentat vom 4. Juli festgenommen und in Plötzensee hingerichtet.

Die Lehrinhalte wurden in den ersten Semestern weitestgehend beibehalten. Einzig die Vorlesungen „Geschichte des Sozialismus“ von Gustav Mayer und „Politische Arbeiterbewegung“ von Fritz Baade fielen ohne Neubesetzung aus den Vorlesungsverzeichnissen. Dies sollte sich erst 2 Jahre später mit der Studienplanreform 1935 ändern.

Johannes Popitz
Quelle: Universitätsbibliothek der
Humboldt-Universität zu Berlin
Ignaz Jastrow
Quelle: Universitätsbibliothek der
Humboldt-Universität zu Berlin