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1933-1945: Nationalsozialismus

Verwaltungs- und Studienreform 1935

Trotz einer streng verfolgten faschistischen Ideologie, verfügte die NSDAP in ihrem Parteiprogramm über keine wissenschaftspolitischen, und nur vage wirtschaftspolitische Konzepte. Das 25-Punkte-Parteiprogramm der NSDAP aus dem Jahre 1920, das die Richtlinien der nationalsozialistischen Politik zusammenfasste, enthielten kaum Ideen zu einer nationalsozialistischen Wissenschaft, die an die Stelle der von der verspotteten „liberalistischen“, „jüdischen“,„internationalistischen“, und „bolschewistischen“ Gelehrsamkeit treten sollte. Die Idee einer deutschen Wissenschaft drückte sich vielmehr im Primat der Politik und einem Anti-Intellektualismus aus. (Woll 1994: 81ff)

Bezüglich der Wirtschaftspolitik fehlten mit den Schlagworten „Brechung der Zinsknechtschaft“, „Gemeinnutz vor Eigennutz“ und „Abschaffung des mühelosen Einkommens“ (Punkte aus dem 25-Punkte-Programm der NSDAP) ebenso stichhaltige Anhaltpunkte für eine Reform der Wirtschaftswissenschaften. Der Nationalsozialismus teilte mit vielen anderen Bewegungen eine allgemeine Skepsis gegenüber den wirtschaftlichen Zielen des Wachstums und des Reichtums. So schreibt Hitler in „Mein Kampf“:

„Der Staat hat aber mit einer bestimmten Wirtschaftsauffassung oder Wirtschaftsentwicklung gar nichts zu tun. Er ist nicht eine Zusammenfassung wirtschaftlicher Kontrahenten in einem bestimmt umgrenzten Lebensraum zur Erfüllung wirtschaftlicher Aufgaben, sondern die Organisation einer Gemeinschaft physisch und seelisch gleicher Lebewesen zur besseren Ermöglichung der Forterhaltung ihrer Art sowie der Erreichung des dieser von der Vorsehung vorgezeichneten Zieles ihres Daseins. Die Wirtschaft ist dabei nur eins der vielen Hilfsmittel, die zur Erreichung dieses Zieles eben erforderlich sind…“. (Hitler 1925: 164f)

Dennoch spielt die Wirtschaftswissenschaft aus zwei Gründen eine besondere Rolle in der nationalsozialistischen Ideenwelt, die beide eng mit dem Antisemitismus zusammenhängen. Zum einen wird das Judentum sowohl mit dem verfeindeten Liberalismus, als auch dem Bolschewismus in Zusammenhang gebracht, und zugleich wurde jüdischer Intellektualismus mit einer Vorliebe für Abstraktion in Verbindung gebracht. Die gleichzeitige Ablehnung der liberalen wie der marxistischen Weltanschauung führten notgedrungen zu Ambivalenzen: Gegen Liberalismus, freien Märkte und für Autarkie, und zugleich Forderungen nach Privateigentum und Konkurrenzprinzip in Abgrenzung gegenüber dem Marxismus (Kruse 1988:16).

Gerade weil der nationalsozialistische Antisemitismus auch in wirtschaftlichen Begriffen formuliert wurde, ist die Frage interessant, welchen Einfluss der Nationalsozialismus an dem Staatswissenschaftlich-Statistischen Seminar der Berliner Universität hatte. In der Literatur finden sich hierzu unterschiedliche Meinungen. So schrieb Krause 1969 (86f.), dass die Lehre nicht von Rassismus durchdrungen ist, während Janssen behauptet, dass dies nicht zu halten ist, da die völkische Lehre rassistisch unterfüttert ist (2000: 113).

Die für die Staatswissenschaften entscheidenden Strukturreformen erfolgten zwei Jahre nach der Machtergreifung, im Jahre 1935. Im Sinne der Vereinheitlichung der Universitäten wurde der volkswirtschaftliche Unterricht der Handelshochschule (die kurzzeitig in die Wirtschafts-Hochschule umbenannt wurde) mit dem der Universität Ende 1935 zusammengelegt. Im WS 1936/37 erfolgte dann die Ausgliederung der Staatswissenschaften aus der Philosophischen Fakultät und gleichzeitig die Wiedereingliederung in die Juristische Fakultät. Es entstand eine neue Fakultät, die der Rechts -und Staatswissenschaften mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Institut. Der Grund dieser Umstrukturierung war die Einführung der nationalsozialistischen Pflichtfächer, den „völkischen Grundlagen“, die sowohl für die Rechts- wie die Staatswissenschaften gemeinsam besucht werden sollten (siehe hier).

Die Verbindung von Staatswissenschaften und Wirtschaftshochschule wurde 1940 wieder aufgehoben. Eine nationalsozialistische Gruppierung wollte die Wirtschaftshochschule zur alleinigen ökonomischen Ausbildungsstätte in Berlin machen, vor allem da diese zu einem größeren Teil mit parteitreuen Wissenschaftlern besetzt war als das wirtschaftswissenschaftliche Institut. Demnach wurde im Januar 1940 wurde das staatswissenschaftlich-statistische Seminar als Institut für Wirtschaftswissenschaften neu gegründet. (Falanga 2005: 228) Es bestand nun aus fünf Abteilungen: Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik, Finanzwissenschaft, Agrarpolitik (ab 1938), Betriebswirtschaftslehre (ab 1939). Die jeweiligen Ordinarien waren: Jens Jessen als Leiter der Abteilung Finanzwissenschaft, Heinrich von Stackelberg als Leiter der Volkswirtschaftslehre, Theodor Beste als Leiter des neugegründeten Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, Hans Weigmann als Leiter der Abteilung Wirtschaftpolitik und Helmut Wollenweber als Leiter des Lehrstuhls Agrarpolitik. In der Position des geschäftsführenden Direktors wirkte bis zu seiner Hinrichtung 1944 durch die Nationalsozialisten Jens Jessen.

Neben diesen strukturellen Reformen begannen die inhaltlichen Änderungen am 2. Mai 1935 mit den Richtlinien für das Studium der Wirtschaftswissenschaft (Richtlinien 1935, Originaltext). Die Richtlinien basierten zum großen Teil auf Wiskemanns und Jessens Grundzüge der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften (1935), welche wiederum auf Jessen’s Volk und Wirtschaft (1935) verwiesen und die Volkswirtschaftslehre auf eine völkische Basis im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung stellten (siehe Eckhardt 1935: 37). Die Richtlinien beginnen mit den Worten: „Lehrer und Studenten! Die Wirtschaftswissenschaft muss nationalsozialistisch werden. Nationalsozialismus ist kein Lippenbekenntnis, sondern eine Weltanschauung.“ (Eckhardt 1935: 3) In den Grundzügen fordern Wiskemann und Jessen die „Neuordnung (…) einer deutschen Wissenschaft, die bis in die letzten Einzelheiten von einer einheitlichen politischen Grundhaltung durchdrungen ist“ (Eckhardt 1935: 148).

Auf dieser Grundlage kam es 1937 zur eigentlichen Studienreform (Janssen 2000). Die Gliederung der Fächer wurde neu festgelegt: sie bestand aus den Fächern Geschichte, Volk, Finanzwissenschaft, Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik, Finanzwissenschaft, Betriebswirtschaftslehre, und Statistik. Bezüglich der Kernfächer kann man eine gewisse Kontinuität beobachten. Doch wurden diese durch einen nationalsozialistischen Erziehungsbestandteil ergänzt, der auf eine regimetreue Formung der Studenten als (formale) Bedingung für jedes wirtschaftliche Handeln abzielte. Es wurden zwei rein politische Semester in den Rahmenplan eingeführt, welche ab dem WS 1937/38 verpflichtend für alle Studenten waren, und gemeinsam mit den Studierenden der Rechts- und Staatswissenschaften unterrichtet wurde (Czech 2010: 301). Die Veranstaltungen sind bereits ab dem WS 1933/34 in den Vorlesungsverzeichnissen zu finden: Seelenkunde der Gesellschaft (WS 34/35), Führer und Masse (WS 34/35), Deutsche Rassenpolitik (WS 37/38), oder Sozialethik: das edle Leben in der Volksgemeinschaft (WS 37/38).

Diese Veranstaltungen wurden jedoch nicht nur von den hauseigenen Wirtschaftswissenschaftlern gehalten, sondern auch von jungen nationalsozialistischen Dozenten (Janssen 2000: 176). Die Vorlesung Volk und Rasse wurde im SS 1936 von den einflussreichen Rassentheoretikern Hans F.K. Günther und Max Hildebert Boehm gehalten, welche die antisemitische „Forschung“ bestimmten (Scholze-Irrlitz 2005: 141ff, Prehn 2008: 3). Günther und Boehm haben zwar an dem Seminar gelehrt, waren aber an der landwirtschaftlichen Fakultät angestellt. Die völkische und damit zugleich auch rassistische Basis wurde also nicht von Ökonomen definiert.

Selbst wenn sich die Kerninhalte nicht änderten, war diese Reform in anderer Hinsicht durchaus „durchdringend“. Wiskemann brachte das Primat der Politik und den Anti-intellektualismus der neuen Universität wie folgt zum Ausdruck:

„Unter keinen Umständen soll dem Studenten, der in der Zukunft aus der Jungmannschaft der Bewegung, dem Arbeitsdienst und der Reichswehr kommt, an den Pforten der Universität ein Intellektualismus entgegentreten, der die bisher gewonnenen Grundlagen gefährdet, auflöst, zerredet und relativiert“ (Janssen 2000: 175 nach Wiskemann 1936).

Wiskemanns Ziel war es, die abstrakte Wirtschaftstheorie soweit wie möglich aus der Lehre zu verbannen, denn an keiner Stelle sollte die Wirtschaftswissenschaft frei von Werteurteilen sein (Janssen 2000: 176). Darin bestand das „Primat der Politik“, mit dem im Laufe der Jahre viele Ökonomen in Konflikt geraten sind. Das Fach, welches bis zur Machtübernahme durch die als individualistisch und liberalistisch verhöhnte Theorien der englischen Klassik geprägt war, sollte in eine neuartige Wissenschaft gewandelt werden, die durch eine „Steigerung aller völkischen Kräfte“ eine „im innersten Wesen und ihrem Ursprung nach politische“ Struktur aufwies. Ziel der Studienreform war also das „innerste Wesen“ der Wirtschaftswissenschaft zu verändern. Im „Leitsatz für Studenten“ der Richtlinien heißt es: „Ihr sollt nicht Prüfungskenntnisse in euch anhäufen, sondern Wahrer und Gestalter der deutschen Wirtschaft werden“. (Richtlinien 1935)

Die ideengeschichtlich interessante Frage ist, inwiefern die herkömmlichen Fächer von dieser Ideologisierung betroffen waren. Es war nicht offensichtlich, wie man dem Primat der Politik vollständig entsprechen konnte und die Lehre bis in den letzten Buchstaben zu nazifizieren. Es bestand daher ein erheblicher Interpretationsspielraum, so dass die eigentliche Durchdringung der Wirtschaftswissenschaften von den einzelnen Professoren und ihren Forschungsprogrammen abhing. Durch die Uneinigkeit und Zersplitterung der deutschen Nationalökonomie in verschiedenen Schulen und Richtungen, die wirtschaftspolitische Konzeptionslosigkeit seitens des NS-Regimes, und durch die Möglichkeit der Fehlinterpretation der Parteilichkeitsforderung entstanden eine Vielzahl von Formen „nationalsozialistischer Ökonomie“. Nahezu alle gerieten jedoch auf ihre eigene Art mit dem NS-Regime in Konflikt, so dass sich die Frage stellt, ob eine nationalsozialistische Wirtschaftswissenschaft überhaupt möglich war. Um dieser Vielfalt gerecht zu werden, werden in den unteren Abschnitten die Einzelfälle Gottl-Ottlilienfelds, Jens Jessens, Werner Sombarts, und Friedrich Freiherr von Stackelbergs vorgestellt.