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1933-1945: Nationalsozialismus

Historismus und Wirtschaftstheorie im Nationalsozialismus

Der Historismus bot sich mehr als jede andere Schule der Nationalökonomie für eine nationalsozialistische Interpretation an. Dennoch gilt der Umkehrschluss nicht, dass die nationalsozialistische Volkswirtschaftslehre nichts als eine Interpretation der historischen Schule war. Gewiss war die Idee einer spezifisch „deutschen Volkswirtschaftslehre“ schon immer ein wichtiger Bestandteil der historischen Schule und deren kulturellen Relativismus. Schon List forderte, dass die historische Situation Deutschlands eine andere Theorie verlangte als die, welche aus dem frühen 19. Jahrhundert in England hervorging. Diese deutsche Eigenheit bestand nicht nur in ihrem Entwicklungsstand, sondern wurde von Schmoller und seinen Schülern immer auch als „moralisch-sittlicher Geist“ hervorgehoben. So forderte auch Heinrich Herkner, Berliner Vertreter des Historismus 1922 „sich von dem auf Abwege führenden Vorbild der englischen Nationalökonomie und ihren angeblichen Naturgesetzen der Wirtschaft zu befreien und eine originale deutsche Volkswirtschaft zu gründen“ (in Janssen 2000: 131). Der Historismus verstand die klassisch-liberale Lehre nicht nur als anational, sondern warf ihr häufig auch eine „dem deutschen Geist“ fremde Denkweise vor, wie zum Beispiel der Utilitarismus und Rationalismus (Janssen 2000:48). Die Kritik der liberalen Wirtschaftslehre in der historischen Schule bot sich der radikalen Rechten in Deutschland als Basis für weitere Interpretationsmöglichkeiten an. Auch mit der Forderung von „Gemeinnutz vor Eigennutz“ griff die NS Propaganda ein zentrales Motiv des Historismus auf. Wesentliche Uminterpretation war jedoch die Ersetzung des Begriffs der Nation durch den des Volkes, welches einen wesentlichen biologischen Aspekt enthielt, der dem Historismus fremd war.

Wenn es sich auch für die Nationalsozialisten anbot, ihren neuen Weg als eine natürliche Vollendung der Geschichte der Wirtschaftslehre darzustellen, stimmte dies nicht mit dem revolutionären Geist überein. Sombart, Gottl-Ottlilienfeld sowie Wiskemann suchten Anfangs im Nationalsozialismus eine Zukunft der Ideen historischen Denkens. Jedoch war diese Hoffnung nicht von langer Dauer. So kam Werner Sombart gerade wegen seiner antisemitischen Auffassung in die Kritik (siehe Abschnitt Sombart). Die Führung der NSDAP war nicht mit Sombarts These einverstanden, dass der jüdische Geist auch auf Nichtjuden übertragbar ist und es ein Umbau der institutionellen Kultur bedarf um den jüdischen Geist zu verbannen. Es war nicht die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft antisemitische Theorien zu entwickeln, sondern diese als Grundlage der Wirtschaftslehre zu akzeptieren. Sombart distanzierte sich von der NS-Rassenpolitik in seiner Schrift von 1938 „Vom Menschen“ (siehe Sombart).

Erwin Wiskemann (1886-1941) war ein Schüler Gottl-Ottlilienfelds und NSDAP Mitglied. Wie kaum ein anderer betonte er als führender nationalsozialistischer Ökonom die Wurzeln im Historismus. In seinem Werk Der Weg der deutschen Volkswirtschaftslehre von 1937 stellte er die nationalsozialistische Wirtschaftslehre als Vollendung einer langen deutschen Tradition dar und den Historismus als „Vorläufer der nationalsozialistischen Ideenrichtung.“ (in Janssen 2000: 143) Er sah in Sombart, dem in Wien lehrenden Othmar Spann und Gottl-Ottlilienfeld seine „jüngsten Vertreter“ (Janssen 2000: 104) Die durch den „Liberalismus“ verschüttete „Eigenart des deutschen Wirtschaftsdenkens“ solle wiederbelebt werden.

Ein weiteres wichtiges Motiv, welches sich im Nationalsozialismus unter den Vorzeichen des Historismus transformierte war die Theoriefeindlichkeit. Rein theoretische Wirtschaftswissenschaften wurden als a-national und damit als undeutsch betrachtet. Dennoch hatte die abstrakte Wirtschaftstheorie Stackelbergs zunächst Bestand, da dieser sich in seinem übrigen Leben der Parteilinie treu verhielt. Ähnlich Jessen, hielten Jessen und Stackelberg an der Bedeutsamkeit einer theoretisch fundierten Forschung fest. Sie erachteten diese als unverzichtbar und stellten sich somit dem nationalsozialistischen Primat der Politik gegenüber. In der weiteren Entwicklung des nationalsozialistischen Regimes distanzierten sich beide Professoren innerlich von der NS-Politik, wobei sich Jessen sogar in Widerstandskreisen wiederfand (siehe hier). Er war Teil der „Arbeitsgemeinschaft Erwin von Primat der Politik“, die aus der „Arbeitsgemeinschaft Volkswirtschaftlehre“ im Rahmen der Akademie für Deutsches Recht entstanden und wieder eingestellt worden war. Diese Arbeitsgemeinschaft war ein privater Kreis liberaler Ökonomen, die Konzepte für eine Wirtschaftsordnung für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entwarfen. Jessens Widerstand ging so weit, dass er aktiv an der Vorbereitung des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 teilnahm und in dessen Folge zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.

Erwin Wiskermann
Quelle: Bildarchiv Foto Marburg,
Neg. Nr. B 24.272/16